Dienstag, 2. Juni 2015

neu: Wahl 2015: Bremen






Nach den hohen Stimmenverlusten der rot-grünen Koalition in Bremen: 


eine Stadt mit lokalen Extremen und einer vertieften sozialen Spaltung





Die vorläufigen Endergebnisse der Bürgerschafts- ud Beiratswahlen sind bekannt und hatten mit dem Rücktritt des Bürgermeisters eine erste spektakuläre Wirkung. 

Neben der bisher im Vordergrund stehenden Machtfrage bietet das schwer überschaubare Zahlenmaterial aus den 458 Wahlbezirken Grundlagen für die Beantwortung einer Reihe von Detailfragen. Das dürfte etwa bei der SPD und den Grünen für die Ursachen ihrer deutlichen Verluste gelten, während die CDU nach einem Konzept sucht, wie sie wieder mehr städtische Wähler gewinnen kann. Andere wird interessieren, welche Faktoren in Bremen zu den zumindest lokalen Erfolgen der erneuerten FDP, der Alternative für Deutschland (AfD) und der Bürger in Wut (BiW) geführt haben.

Eine wichtige Hilfe bei einer Beantwortung kann die Sozialraumanalyse liefern. Dabei handelt es sich um ein Verfahren der Sozialstatistik, das die Ergebnisse der Wahlbezirke vorgegebenen Sozialraumtypen zuordnet. Verglichen werden dann nicht mehr beliebige Einzelresultate, sondern Wohnquartiere wie die Bremer WiN-Gebiete, für die als sozial benachteiligte Areale eine spezielle Förderung folgt, oder die eher aus der Umgangssprache übernommenen bürgerlichen Viertel, Altstadtgebiete oder alternativen Quartiere.

In den einzelnen Wahlbezirken und Ortsteilen, die diese Sozialraumtypen ausmachen, wohnen unterschiedlich viele Wahlberechtigte, sodass die Größe eines Typs wie etwa der WiN-Gebiete, in denen jeder fünfte Bremer lebt, das Bremer Wahlresultat mitbestimmen.

Da es einige Sozialraumtypen auf dem Land oder am Stadtrand gar nicht gibt, schneiden die Parteien, die etwa in WiN-Gebieten oder alternativen Vierteln dominieren, dort schlechter ab und umgekehrt. Die bisherigen Bremer Wahlerfolge der SPD und der Grünen lassen sich daher nicht zuletzt darauf zurückführen, dass die Hochburgen der Sozialdemokraten in WiN-Gebieten liegen und Entsprechendes für die Grünen in innenstadtnahen Altbaugebieten gilt.

Umgekehrt sind die Christdemokraten in diesen beiden Raumtypen besonders schwach, sodass sie bereis rein rechnerisch besser abschneiden, wenn ein Landkreis diese Gebietstypen gar nicht aufweist. 


Bremens soziale Spaltung wächst beim Wahlverhalten


So lässt sich die Wählerverteilung in Bremen grob skizzieren. Bei einem Blick auf die Ergebnisse vom 10. Mai rückt der dynamische Aspekt in der Vordergrund. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Sozialraumtypen. Während die SPD und die Grünen fast durchgängig 13 Prozentpunkte beim Wähleranteil verloren haben, gab es unterschiedliche Gewinner. Insgesamt hat zwar die AfD bei ihrer ersten Bremer Bürgerschafts- und Beiratswahl mit 5,6 % die meisten Stimmen hinzugewonnen, allerdings von dem überhaupt möglichen niedrigsten Ausgangspunkt. 

Vor allem in drei Sozialraumtypen konnten sich weder diese Newcomer noch die große Oppositionspartei, also die CDU, als Sieger sehen. Vielmehr hat die Linke in den WiN-Gebieten und vor allem in den innenstadtnahen Altbaugebieten Zuwächse von bis zu 10,7 Prozentpunkten am Steintor verzeichnet, während die FDP wieder einen Anstieg ihrer vor vier Jahren zusammengeschmolzenen Wählerschaft in den bürgerlichen Vierteln wie Oberneuland mit 13,1 Prozentpunkten gelungen ist.

Entsprechend ihrer Nähe zu einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung kann man daher von einer größeren Polarisierung der Wähler in den Sozialräume sprechen, da in den drei großen Gebietstypen mit einer ausgeprägtn Wählerwanderung eine Tendenz zur Wahl der Partei erfolgte, die wie die Linke links von den Grünen und der SPD steht oder wie die FDP wirtschaftsliberaler als die CDU auftritt. it anderen Worten sind die Stadtteile weiter nach links gerückt und die rechten weiter nach rechts, womit allerdings keine extreme Positionen gemeint sind. 


Ein Stadtteil wählt anders





In Bremen wurde durch die Wahl jedoch nicht nur mehr soziale Ungleichheit sichtbar, wenn man die Verteilung der Wähler betrachtet. Deutlich ist auch eine regionale Trennung, die sich unabhängig von der sozialen Spaltung entwickelt hat.

Die Nordbremer haben zwar schon bisher anders gewählt als die übrigen Bremen. Aber das folgte weitgehend aus der abweichenden Verteilung der Sozialraumtypen, da es nördlich der Lesum zwar zahlreiche WiN-Gebiete aber kein alternatives Altbauviertel gibt. Die Durchsetzung einer intensiv-pädagogischen Einrichtung für straffällige junge Flüchtlinge hat jetzt im Stadtteil Blumenthal die BiW zu einer Wählervereinigung gemacht, die mit 16,9 % bei der Beiratswahl im Ortsteil Rekum einen Stimmenanteil erreicht, der sogar über dem der Volkspartei CDU in zahlreichen Bremer Ortsteilen liegt. 

Dieser Erfolg beschränkt sich allerdings auf Blumenthal und abgeschwächt die unmittelbare Nachbarschaft, während die BiW von ihrer vehementen Wahlkampfführung nicht profitiert hat, da sie insgesamt Wähler eingebüßt hat. Ihr Erfolg in Blumenthal lässt sich daher kaum als ein generelles Votum gegen Flüchtlinge interpretieren, sondern als Reaktion der lokalen Wählerschaft auf die Art und Weise, wie die Verwaltung eine umstrittene Maßnahme im konkreten Fall durchgesetzt hat.   


Die sozialräumlichen Hintergründe des aktuellen Ergebnisses



So lassen sich wichtige Schlussfolgerungen aus der Vielzahl von Daten zur Bremer Wahl zusammenfassen. In einer Darstellung der Details muss sich die sozialräumliche Analyse bei der jetzigen Wahl jedoch nicht nur auf die Auswertung der Stimmen beschränken, die in der diesjährigen Wahl abgegeben wurden.  

Ergänzend lässt sich auch ein mittelfristige Entwicklung heranziehen, denn es liegen auch ähnliche Auswertungen für die

Bundestagswahl 2009,

Bundestagswahl 2013 und die

Europawahl 2014.


Wahlbeteiligung und gültige Stimmen


                                              Flyer der Wahlrechtskampagne




Aufgrund des neuen Wahlgesetzes, wodurch über ein Kumulieren und Panaschieren der Stimmen die Wähler die Beiräte und die Bürgerschaft in erheblichem Maße nach deren personellen Wünschen zusammenstellen können, hat bei dieser Wahl zu Kritik geführt. Sie hat sich nicht etwa gegen eine zu geringe Nutzung der neuen Möglichkeiten gerichtet, sondern den Blick auf zwei mögliche Folgewirkungen gerichtet: die niedrige Wahlbeteiligung und den hohen Anteil an ungültigen Stimmen.


Ein Wahlrecht für die Wähler



Nach den vorliegenden Veröffentlichungen des Stat. Landesamtes lässt sich eine Antwort auf die zentrale Frage geben, ob die Wähler, um den es ja beim Wahlrecht zuerst einmal gehen sollte, das jetzt geltende Wahlrecht angenommen hat. Wenn zwei Drittel der Wähler von den neuen Möglichkeiten einer variablen Stimmabgabe Gebrauch machen, muss man sicherlich von einem Erfolg sprechen. Dieses Wahlrecht kommt offensichtlich den Wählerwünschen entgegen, es entspricht dem Wählerwillen.


In konkreten Zahlen ausgedrückt haben am 10. Mai 34,0 % der Wähler nur Listenstimmen für eine Partei abgegeben, also so gewählt, wie es nach dem alten Wahlrecht ausschließlich möglich gewesen wäre. Das ist gegenüber 2011 nur ein kleiner Rückgang von damals 34,7 %. Bei dieser Wählergruppe ist also die alte Ausrichtung auf eine Parteiliste sehr fest verankert.

Die verschiedenen Optionen des neuen Wahlrechts wurden mit deutlich unterschiedlichen Trends genutzt. Als besonders beliebt hat sich dabei die Konzentration auf Personenstimmen herausgestellt, während die Mischung von Partei- und Personenstimmen an Bedeutung verloren hat. Immerhin haben diesmal 37,0 % der Wähler einen Stimmzettel ausschließlich mit Personenstimmen abgeben, während es 2011 nur 31,4 % waren. Rückläufig waren hingegen die gemischten Stimmzettel mit Partei- und Personenstimmen. Hier fiel der Anteil um 3,8 Prozentpunkte auf 19,5 %.

Die Möglichkeit einer Stimmabgabe zugunsten mehrerer Parteien nutzt weiterhin in Bremen nur eine Minderheit, die zudem bei den Wählern, die bei zwei Parteien ein Kreuz gemacht haben, noch gesunken ist. So ist es dabei geblieben, dass die mit 71,5 % große Mehrheit der Bremer Wähler ihre Stimmen auf eine Partei konzentriert, dabei allerdings in diesem Jahr deutlich häufiger als 2011 von der Möglichkeit der Personenstimmen Gebrauch gemacht hat. Hier ist der Anteil auf 28,4 %, d.h. um fast 5 Prozentpunkte gestiegen.

Der Einwand der Kritiker, das Wahlrecht sei zu kompliziert, unterschätzt offensichtlich die Fähigkeiten der Wähler. Zwar waren 2,9 % der Stimmzettel ungültig, aber das ist zumindest eine leichte Abnahme gegenüber den 3,1 % von 2011.

Zudem kann man diesen Anteilswert nicht unbedingt auf das Wahlrecht zurückführen; da 0,9 % auf leere oder durchgestrichene Stimmzettel entfallen, also ein für Ungültigwähler typisches Protestverhalten. In der Ukraine wurde früher für diese Gruppe beispielsweise auf den Stimmzetteln eine besondere Kategorie „Gegen alle“ angeboten.

So bleiben als Beleg für die Wahlrechtskritik die Wähler, die mehr als fünf Stimmen verteilt haben. Das waren gut 3.000 oder 1,5 % aller Wähler. Auch wenn nur die Partei "Die Partei" bisher mit ihrem Vorschlag, das Wahlrecht ab einem bestimmten Alter abzuerkennen, die Wahlfähigkeit von Wahlberechtigten offen als Thema anspricht, stellt sich hier die Frage: Muss ein Wahlrecht verhindern, dass Wähler, die nicht bis 5 zählen wollen oder können, ihre Präferenz zwischen mehr als fünf Parteien durch eine gültige Stimmabgabe artikulieren können.



Sozialökologische Hintergründe des Wahlverhaltens


Einige Zusammenhänge zwischen der Abgabe ungültiger Stimmen und der Wahlbeteiligung, deren Abhängigkeit vor allem vom Bildungsniveau in den letzten Monaten und Jahren intensiv diskutiert wurde, lassen sich aufgrund sozialräumlicher Daten plausibler verstehen und erklären.

Wenn man beide Gesichtspunkte, also die Nutzung und mögliche Folgewirkungen auf das Wahlergebnis, näher betrachtet, ergibt sich folgendes Bild für die Indikatoren des Wahlverhaltens.

Interkorrelationen zwischen den Wahlindikatoren


Strukturindikator
Wahlbeteiligung
Briefwahl
Ungültige Stimmen
Wahlbeteiligung 2015
1,00


Briefwahl
0,49
1,00

Ungültige Stimmen
-0,54
-0,38
1,00


Die Abgabe ungültiger Stimmen steht nach den Korrelationskoeffizienten in der Tabelle in einem statistischen Zusammenhang mit der Höhe de Wahlbeteiligung; denn viele ungültige Stimmen werden in Ortsteilen mit niedriger Wahlbeteiligung gezählt. Hingegen steigt die Wahlbeteiligung mit einer intensiveren Nutzung der Möglichkeit zur Briefwahl.

Eine Kartierung der Anteile ungültiger Stimmen ähnelt daher teilweise eine Verteilung von Ortsteilen mit niedriger Wahlbeteiligung und hohen Werten für die Indikatoren sozialer Benachteiligung.
Die Anteil ungültiger Stimmen 2015 (dunkel blaue Ortsteile: viele ungültige Stimme) (Quelle: Wahlatlas)

Grob gesprochen handelt es sich dabei häufig um die Bremer WiN-Gebiete am Stadtrand, während der innenstädtische Kern kaum ungültige Stimmen kennt.


Den höchsten Wert weist der Ortsteil Hohweg auf, also ein Gewerbe- und Kleingartengebiet im Stadtteil Walle mit nur 334 Wahlberechtigten, in dem 9,2 % der abgegebenen Stimmen als ungültig gewertet wurden. Dabei ist dieser Ortsteil mit seinem Ausreißerwert keine große Überraschung, da er schon 2011 mit allerdings "nur" 7,6 % an der Spitze lag. Es hätte sich also in diesem kleinen Quartier eine bessere Information über die Abgabe gültiger Stimmzettel lohnen können. Zwar können Ortsteil nicht lernen, aber sehr wohl die Menschen in ihren. 

Allerdings scheinen eine Bremerinnen und Bremer auf die Informationen zum Wahlrecht wenig zu geben. Es waren jedenfalls fast wieder dieselben Ortsteile, in denen überdurchschnittlich viele oder auch wenige ungültige Stimmen abgegeben wurden wie 2011. Der Korrelationskoeffizient lag hier bei r = 0,78 und ist damit deutlich höher als die Zusammenhänge mit verschiedenen Sozialindikatoren.

Das ist allerdings ein Ausreißerwert. Ein deutliche Ballung von ungültgen Stimmen findet man hingegen in den WiN-Gebieten, wo sie früher einmal mit Informationen zur Wahl beschäftigt haben. Das scheint jetzt Vergangenheit zu sein, da zwischen 4 und 5 % der Wähler ungültig abgestimmt haben. 

Dieser Eindruck wird durch die ökologische Korrelation bestätigt. Dabei ist der Zusammenhang zwar nicht so eindeutig wie bei der Wahlbeteiligung, aber dennoch eindeutig. Allerdings muss man aus diesen Daten noch auf einen weiteren möglichen Erklärungskomplex schließen: die Zahl der ungültigen Stimmen war am 10. Mai in den Ortsteilen besonder hoch, wo die Wohndauer besonders hoch ist, kaum Mobilität erfolgt und der Anteil der über 65-jährigen relativ hoch ist.

Auch wenn man aus den Werten für Ortsteile nicht auf einzelne Wähler schließen kann, legen es diese Daten nahe, einmal zu prüfen, ob dieses Wahlrecht vor allem ältere Menschen, die mit dem alten Wahlrecht nach dem Grundsatz "one man, one vote!" gelebt haben, Schwierigkeiten bereitet.


Ökologische Korrelationen zwischen ausgewählten Sozialindikatoren und der Höhe der Wahlbeteiligung und dem Anteil an ungültigen Stimmen


Strukturindikator
Wahlbeteiligung
Ungültige Stimmen
Unter 18
-0,29
0,34
18-65
0,11
-0,58
Über 65
0,03
0,49
Wohndauer
0,09
0,61
Anteil Migranten
-0,85
0,33
Mobilitätsquote
0,04
-0,50
Einpersonenhaushalte
-0,01
-0,38
Haushalte mit Kindern
-0,16
0,32
Gymnasiastenanteil
0,72
-0,51
Arbeitslosenziffer
-0,82
0,40
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
-0,90
0,46
Jahreseinkommen (2007)
0,84
-0,57
Einfamilienhäuser
0,22
0,32
Wohnungsgröße
0,57
-0,04


Bei dieser teilweise engen Verbindung zwischen den Merkmalen des Wahlverhaltens und den Sozialindikatoren kann es nicht überraschen, wenn sowohl die Wahlbeteiligung als auch der Anteil der ungültigen Stimmen eine unterschiedliche parteipolitische Auswirkung haben können, wie die folgende Übersicht zeigt:



Die "Betroffenheit" der Bremer Parteien


ParteiWahlbeteiligungUngültige StimmenBriefwahlanteil
SPD
-0,81
0,62
-0,57
Grüne
0,50
-0,65
0,26
CDU
0,37
0,01
0,29
Linke
-0,07
-0,20
-0,12
BiW
-0,36
0,51
-0,41
FDP
0,55
-0,35
0,68
Piraten
-0,22
-0,33
-0,07
AfD
-0,56
0,54
-0,32



Danach ist eine niedrige Wahlbeteiligung vor allem in Ortsteilen zu finden, in denen die SPD eine starke Stellung besitzt. Abgeschwächt gilt das auch für die AfD und die BiW, während die FDP und die Grünen hohe Anteilswerte in Ortsteilen mit einer hohen Wahlbeteiligung erzielen.

Nicht ganz so hohe Korrelationen findet man für die ungültigen Stimmen, wobei das Muster dem bei der Wahlbeteiligung sehr ähnlich ist; denn SPD, AfD und BiW weisen ein fast identisches Verteilungsmuster auf. Den Gegenpol bilden auch hier die Grünen und die FDP.

Ohne Auswirkungen auf die ausgezählten gültigen Stimmen ist der Anteil der Briefwähler, der jedoch auch ein Kennzeichen für den Charakter einzelner Ortsteile und das Verhalten der Wähler der einzelnen Parteien sein kann. Das ist im Fall Bremen 2015 sogar sehr einfach, denn auch bei diesem Indikator besteht eine klarer Gruppierung der Parteien. Grüne und FDP sowie SPD, AfD und BiW unterscheiden sich deutlich durch ihre Stärke oder Schwäche in Ortsteilen mit einem hohen oder niedrigen Anteil an Briefwählern, während die CDU und die Linke kaum eine Korrelation aufweisen, ganz ähnlich wie bereits bei der Höhe der Wahlbeteiligung und dem Anteil der gültigen Stimmen.


Die sozialräumliche Struktur der Parteien in Bremen



Zentrale Grundlage dieser Wahluntersuchung ist ihr Bezug zur Sozialraumanalyse, die von eine Gliederung eines Stadtgebietes nach einer Reihe demographischer und sozialer Merkmale der Wohnbevölkerung ausgeht. Dabei ging man ursprünglich zwischen einer sektoralen Verteilung nach dem sozialen Status und einer konzentrischen Verteilung nach dem familialen Status aus, den man am Anteil der Einpersonenhaushalte und dem Anteil de Haushalte bzw. Familien mit Kindern und Jugendlichen festmachen kann. Hinzu kommen ein Ausländerstatus und vor allem seit der Entwicklung in den letzen Jahrzehnten ein Transferstatus, für den der Anteil der Hartz IV-Empfänger ein zentrales Definitionsmerkmal ist.

Wie auch in anderen Städten haben die bereits vorliegenden Analysen für die Bremer Wahlen im Zeitraum 2007 - 2014 deutliche Zusammenhängen zwischen den einzelnen Sozialraumtypen und den Anteilen der verschiedenen Parteien aufgedeckt. So sind in der Regel die Hochburgen der Parteien Ortsteile, die sich sehr leicht einem Sozialraumtyp zuordnen lassen.

Im Folgenden soll daher der aktuellen Situation der einzelnen Parteien in den Sozialraumtypen nachgegangen werden, wobei die Veränderung in zwei Legislaturperioden seit 2007 nicht vernachlässigt wird.



Die SPD: Weiterhin eine WiN-Partei?

Hochburgen der SPD bleiben auch nach den Wählereinbrüchen von 6,7 Prozentpunkten in der Stadt Bremen am 10. Mai weiterhin alle Ortsteile in WiN-Gebieten, so Oslebshausen mit 47,7 % und drei Ortsteile der Neuen Vahr mit Anteilswerten zwischen 46 % und 47,2 % bei der Bürgerschaftswahl.

Auch die ökologischen Korrelationen zwischen den SPD-Anteilen und wichtigen Sozialstrukturindikatoren unterstreichen dieses Bild. Anders als etwa die Linke sowie AfD und BiW besteht ein enge Zusammenhang zwischen den SPD-Wählern und dem sozialen bzw. Transferstatus ihrer Wohngebiete. So erreicht die SPD weiterhin ihre besten Ergebnisse dort, wo der Anteil der Hartz IV-Empfänger hoch und das durchschnittlichen Jahreseinkommen relativ niedrig sind. 

Dieses Muster gilt auch für die AfD, die BiW und die Linke, wenn auch deutlich weniger eng. Das belegt beispielhaft die Korrelation mit dem Jahreseinkommen, die für die SPD r = -0,74 beträgt, bei der Linken hingegen nur relativ schwach mit r= -0,30 ausgeprägt ist.


 Ökologische Korrelationen zwischen ausgewählten Parteien und        Strukturindikatoren
Strukturindikator
SPD
Linke
BiW
AfD
Wahlbeteiligung 2015
-0,81
0,07
-0,36
-0,56
Unter 18
0,45
-0,39
0,18
0,38
18-65
-0,40
0,60
-0,33
-0,57
Über 65
0,21
-0,49
0,28
0,46
Wohndauer
0,23
-0,35
0,40
0,40
Anteil Migranten
0,64
0,11
0,01
0,36
Mobilitätsquote
0,36
0,44
-0,29
-0,40
Haushalte mit Kindern
0,37
-0,50
0,18
0,37
Gymnasiastenanteil
0,58
-0,30
-0,43
-0,37
Arbeitslosenziffer
0,61
0,25
0,31
0,41
Hartz IV-Empfänger-Anteil
0,72
0,16
0,27
0,46
Jahreseinkommen (2007)
-0,74
-0,30
-0,36
-0,45

Damit ist die SPD weiterhin eng mit den Ortsteilen verbunden, in denen die Einwohner ein vergleichsweise niedriges Einkommen beziehen und in denen überdurchschnittlich viele Hartz IV-Empfänger und Arbeitslose leben. Dadurch ähnelt die SPD von der Tendenz her, wenn auch nicht von Ausmaß der erfolgreichen neuen Partei in der Bürgerschaft. Vermutlich sind ohnehin zahlreiche SPD-Wähler zur AfD abgewandert sind, wenn sie nicht eine Beteiligung an der Wahl für unwichtig gehalten haben oder aus Unzufriedenheit mit ihrer alten Entscheidung der Wahl fern geblieben sind.

Wichtig ist nach der Wahlschlappe für die SPD weniger die sozialräumliche Verortung der Wähler als eine Analyse der Ortsteile, in denen die Entwicklung der Anteile besonders positiv oder negativ war. Um diese Frage zu beantworten, lässt sich eine ökologische Korrelationsrechnung für das Ausmaß und die Richtung der Wählerentwicklung bei der SPD und ausgewählte Sozialindikatoren heranziehen.



Ökologische Korrelationen zwischen der Entwiklung der SPD-Anteile und ausgewählten Sozialindikatoren
Strukturindikator
SPD-Entwicklung 2011-5
Wahlbeteiligung 2015
0,26
Wahlbeteiligung 2011-5
-0,02
18-65
0,28
Über 65
-0,35
Wohndauer
-0,38
Anteil Migranten
0,08
Mobilitätsquote
0,17
Einpersonenhaushalte
0,16
Haushalte mit Kindern
0,02
Gymnasiastenanteil
0,32
Arbeitslosenziffer
-0,08
Hartz IV-Empfänger-Anteil
-0,06
Jahreseinkommen (2007)
0,26
Einfamilienhäuser
-0,39
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Nach diesen Daten ist es sehr unwahrscheinlich, dass die SPD-Wähler sich in einem größere Ausmaß in diesem Jahr nicht an der Wahl beteiligt haben, denn die entsprechende ökologische Korrelation beträgt nur r = 0,02, ist also zu vernachlässigen. Der erste Gedanke, den die enge Verzahnung von hohen SPD-Anteilen in Ortsteilen mit einer niedriger Wahlbeteiligung scheint ein kaum realisierbarer Wunschtraum zu sein. Nichtwähler lassen sich vermutlich leichter als Anhänge einer "Partei der Nichtwähler" beschreiben und verstehen und nicht als potenzielle SPD-Wähler auf Abruf Das dürfte gerade auch für die WiN-Gebiete gelten, in denen sich eine eigene politische Subkultur entwickelt.


Die höchsten Verluste musste die SPD in Ortsteilen mit relativ vielen Wohnungen in Einfamilienhäuser, zahlreichen älteren Menschen und einer langen Wohndauer der Einwohner im jeweiligen Ortsteil hinnehmen. Ein Beispiel hierfür ist Grolland (siehe Anhang III). Vergleichsweise stabil hielt sich die SPD vor ihrem generellen Wahldesaster in Ortsteilen mit einer relativ hohen Gymnasiastenquote und einer hohen Wahlbeteiligung.

Allerdings betragen die Korrelationen deutlich unter 1,0 bzw. -1.0, worin sich die zahlreichen Ausnahmen niederschlagen. Das gilt neben hohen Verlusten in Rekum und Farge auch für die Überseestadt, wo die SPD über 10 Prozentpunkte verloren hat, aber die Wohndauer noch extrem niedrig liegt und der Anteil der Wohnungen in Einfamilienhäusern völlig zu vernachlässigen ist. Die Haushalte, die in die Überseestadt gezogen sind, scheinen also nicht nur spezielle Wohnpräferenzen zu haben. Sie unterscheiden sich auch von den übrigen Bremern durch ihr Wahlverhalten.

Sozialdemokratische Hochburgen bleiben die WiN-Gebiete, und das gilt sowohl für die Großsiedlungen der Nachkriegszeit als auch die ehemaligen Arbeiterviertel, in deren Wohnungen inzwischen sozial benachteiligte Gruppen gezogen sind.


Anteile de Parteien in % in der Bürgerschaftswahl 2015 im WiN-Gebiet Tenever 


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
40,4
45,8
-5,4
Grüne
7,9
11,6
-3,7
CDU
20,8
21,8
-1
Linke
16
10
6
BiW
2,1
2,5
-0,4
FDP
4,4
1,8
2,6
Piraten
1,2
1,7
-0,5
AfD
5,4
-
5,4
PARTEI
0,9
-
0,9
Tierschutz
0,7
-
0,7
Quelle: Landeswahlleiter

Großer Sieger war in Tenever die Linke mit einem Zuwachs von 6 Prozentpunkten, sodass jetzt fast jeder fünfte Wähler der linken Alternative zur SPD seine Stimme gab. Dieser SPD-Verlust liegt jedoch nur wenig unter den 

5,5 %, die die AfD in ihrer ersten Bürgerschaftswahl erhielt. Entgegen dem Bremer Trend musste in diesem WiN-Gebiet mit einem besonders hohen Anteil von Hartz IV-Empfängern die CDU sogar eine leichte Einbuße hinnehmen, während die FDP etwas stärker gewann als im Bremer Durchschnitt. Insgesamt hat damit ein rot-rot-grünes Lager in Tenever nur ganz leicht verloren.


Anteile de Parteien in % in der Bürgerschaftswahl 2015 im WiN-Gebiet und ehemaligen Arbeiterquartier Ohlenhof

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
43,7
50,3
-6,6
Grüne
8,8
13,7
-4,9
CDU
15,8
13,1
2,7
Linke
10,8
8,3
2,5
BiW
4,4
3,4
1,0
FDP
3,8
1,3
+2,5
Piraten
1,9
1,6
+0,3
AfD
7,9
-
7,9
PARTEI
1,5
-
+1,5
Tierschutz
1,4
-
+1,4
Quelle: Landeswahlleiter


Im ehemaligen Arbeiterviertel Ohlenhof, das stark unter dem Niedergang der Werftindustrie gelitten hat und daher aufrund seiner negativen Sozialindikatoren ebenfalls in das WiN-Förderprogramm aufgenommen wurde, ist die Linke keineswegs der eindeutige Gewinner. Hier folgen bei Anteilszuwächsen von 2 bis 3 Prozentpunkten auf die AfD zunächst die CDU und dann gleichauf die Linke und die FDP.


Die Schwäche der CDU: zu kleine Hochburgen und zu geringes Aufholpotenzial



Trotz der weiterhin schlechten Beurteilungen Bremens, wie sie aus Befragungen der Bürger und der Analyse statistischer Kennziffern bekannt sind, haben die Bremerinnen und Bremer nicht die ganz große Konsequenz daraus gezogen. Ein politischer Grund dürfte sein, dass sich die CDU - realistisch gesehen sicherlich ganz korrekt - keine Übernahme des Bürgermeisteramtes zugetraut hat, sondern offenbar eher als Juniorpartner eine Koalition wie im Bund angestrebt hat, aber sogar unter roter Führung.

Diese Haltung schien durch den Stimmenanteil bei der letzten Wahl vorgezeichnet zu sein, nur haben die Wähler diesmal den beiden Koalitionsparteien ein unerwartet klares Signal gegeben, was sie von ihnen halten. Das war ein Verlust von 13 Prozentpunkten, von dem in einem allerdings relativ geringen Maße auch die größte Oppositionspartei profitiert hat. Nur lässt sich daraus jetzt keine Mehrheit in der Bürgerschaft bilden. Auch sind die Chancen, in vier Jahren eine Alternative zu Rot-Grün anbieten zu können, nur bedingt gewachsen. Es ist jedoch der Abstand zwischen den Stimmenanteilen von SPD und CDU deutlich gesunken und mit der FDP ist wieder eine Partei in die Bürgerschaft zurückgekehrt, die sich als Koalitionspartner anbietet.

Über die sozialräumlichen Rahmenbedingungen für einen Machtwechsel, wie er der Hamburger CDU 2001 mit Ole von Beust gelungen ist, können einige ökologische Korrelationen Aufschluss geben.


Ökologische Korrelationen zwischen ausgewählten Strukturindikaoren und den Anteilen der CDU im Zeitraum 2007-15 und der SPD

Strukturindikator
CDU 2007
CDU 2011
CDU 2015
SPD 2015
Unter 18
0,15
017
0,32
0,45
18-65
-0,44
-0,41
-0,39
-0,40
Über 65
0,42
0,37
0,28
0,21
Wohndauer
0,26
0,33
0,27
0,23
Anteil Migranten
-0,26
-0,35
-0,27
0,64
Mobilitätsquote
-0,38
-0,41
-0,35
0,36
Einpersonenhaushalte
-0,48
-0,51
-0,67
0,29
Haushalte mit Kindern
0,30
0,33
0,48
0,37
Gymnasiastenanteil
0,62
0,61
0,44
-0,58
Arbeiteranteil
-0,28
-0,27
-
-
Arbeitslosenziffer
-0,55
-0,58
-0,47
0,61
Hartz IV-Empfänger-Anteil
-0,42
-0,49
-0,38
0,72
Jahreseinkommen (2007)
0,56
0,57
0,52
-0,74
Einfamilienhäuser
0,32
0,41
0,43
0,12
Wohnungsgröße
0,74
0,82
0,75
-0,32
Quelle: Wahlatlas de Stat. Landesamtes


Entsprechend der einfachen Wahlarithmetik kann die Bremer CDU nur stärkste Partei werden und damit einen Machtwechsel schaffen, falls sie nicht zuletzt auch Wähler in den Hochburgen der SPD erreicht, also dort stärker für Einwohner wählbar wird, wo bisher die Sozialindikatoren eine besonders starke SPD begünstigen.

Wenn man einmal die Indikatoren für den Sozial und Transferstatus betrachtet, hat sich hier die CDU sehr leicht in Richtung des Bremer Durchschnitts bewegt und sehr, sehr wenig den Koeffizienten der SPD angenähert. Allerdings müsste man von einer zweiten Volkspartei in Bremen sicherlich eine deutlich größere Ähnlichkeit erwarten.

Erheblich schwieriger ist die Entwicklung der von der CDU angesprochenen Wähler, wenn man auf die für Großstädte auch zahlenmäßig bedeutsame Alternativkultur sieht. Hier hat sich die Korrelation beim wichtigsten zur Verfügung stehenden Indikator, dem Anteil der Einpersonenhaushalte, von r = -0,48 auf r = -0,67 erhöht. Danach kann man den Eindruck haben, dass die CDU keinen Zugang zu diesem vergleichsweise großen Milieu gefunden hat. 


Das dürfte allerdings bei der Einstellung der CDU-Spitzenkandidatin zu Fragen wie Abtreibung und Sterbehilfe nicht groß überraschen. Hier wird man sich entscheiden müssen, ob man eine moderne Großstadtpartei werden möchte oder alte weltanschauliche Werte verteidigen will, was von großen Teilen der Wählerschaft als nicht mehr zeitgemäß erachtet werden dürfte.

Relativ sicher dürfte jedenfalls allein aufgrund de Größe der Wohnbevölkerung sein, dass die CDU nicht allein durch gute Werte in ihren Hochburgen stärkste Partei in Bremen werden kann. Diese bürgerlichen Quartiere mit einer CDU-Mehrheit sind einfach zu klein. Zudem hat hier die FDP besonders hohe Zuwächse erzielt, wie das Beispiel Oberneuland zeigt.



Anteile der Parteien in % in der Bürgerschaftswahl 2015 im bürgerlichen Ortsteil Oberneuland


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
20,6
25,6
-5
Grüne
8,9
14,9
-6
CDU
40,3
45,8
-5,5
Linke
3,2
1,9
1,3
BiW
0,8
1,7
-0,9
FDP
18
4,9
13,1
Piraten
0,5
0,9
-0,4
AfD
6,2
-
6,2
PARTEI
0,8
-
0,8
Tierschutz
0,8
-
0,8
Quelle: Wahlatlas er Stat. Landesamtes


Deutlich ausbauen auf fast 60 % konnten die CDU und die FDP ihren zusammengefassten Anteil in dem bürgerlichen Viertel Oberneuland. Dafür hat der hohe Zugewinn der Freidemokraten gesorgt, die ihren Stimmenanteil mehr als verdreifachten und den Verlust der CDU von nicht unbeachtlichen 5,5 Prozentpunkten damit deutlich kompensiert haben.


Die alternativen Vier: Grüne, Linke, PARTEI und Piraten






Nachdem die Grünen un vielen Jahre in den innenstadtnahen Wohngebieten ihre Hochburgen ausbauen konnten, hat sich das spätestens seit der Wahl am 10. Mai deutlch geändert. Zwar sind die Grünen etwa im Ortsteil Steintor mit großem Abstand trotz hoher Verluste stärkste Partei geblieben. Jedoch haben die Grünen inzwischen ihr Alleinstellungsmerkmal als Partei bei den "alternativen" Wählen verloren.


Wie die folgende Tabelle mit den Interkorrelationen der räumlichen Wähleranteile als Indikatoren für die Ähnlichkeit der Wählerverteilung zeigt, bestehen inzwischen sehr hohe Werte von über r = 0,8. Das gilt vor allem für die Linke, aber auch die erstmals kandidierende Satirepartei "DIE PARTEI", die in der Östlichen Vorstand ein Beiratsmandat errungen hat, also hier eine politische Größe darstellt, wenn auch die kleinst mögliche. Eine geringere Ähnlichkeit besteht auch mit den Piraten, die sich nicht ganz so deutlich von der SPD als nicht-alternativer Gegenpol unterscheiden wie die anderen drei Alternativparteien.


Ähnlichkeiten zwischen SPD, Grünen, Linken, Piraten und der PARTEI in der Bürgerschaftswahl 2015

Partei
SPD
Grüne
Linke
Piraten
PARTEI
SPD
1,0




Grüne
-0,63
1,0



Linke
-0,13
0,72
1,0


Piraten
-0,02
0,39
0,52
1,0

PARTEI
-0,40

0,82
0,83
0,55
1,0
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Ein gutes Beispiel für diesen Sozialraumtyp ist der Ortsteil Steintor im Bremer Viertel, wo man dieses Wahlverhalten, das mit dem der Gesamtstadt so wenig übereinstimmt, studieren kann.

Anteile der Parteien in % in der Bürgerschaftswahl 2015 im 
alternativen innenstadtnahen Altbaugebiet Steintor

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
20,4
25,6
-5,2
Grüne
34,5
44,9
-9,6
CDU
9
7,8
1,2
Linke
22,3
11,6
10,7
BiW
0,7
1,5
-0,8
FDP
2,5
1,1
1,4
Piraten
2
3,2
-1,2
AfD
1,8
-
1,8
PARTEI
4,5
-
4,5
Tierschutz
1,3
-
1,3

Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes




                                           Ostertorsteinweg (Quelle: wikipedia)

Der Ortsteil Steintor bleibt trotz der hohen Verluste die Grünen-Hochburg in Bremen mit 34,5 %. Wobei die hier erkennbare Austauschbarkeit zwischen den Parteien auch für kommende Wahlen Bedeutung haben kann. Danach haben hier die AfD und die CDU zusammen weniger gewonnen als die PARTEI. Das spricht sehr deutlich für ein nach außen weitgehend abgeschottetes alternatives Lager, in dem interne Wählerwanderungen erfolgen, wenn die Wähler mit der Politik einer konkreten Partei unzufrieden sind.


Der Wandel der Bremer Linken: von einer Anti-Hartz IV-Partei zur linken Alternative der Grünen




Vor dem Zusammenschluss der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), der in Bremen am 13 Oktober 2007 erfolgte, hatten sich die Landesverbände bereits Mitte Mai 2007 mit einer gemeinsamen Liste an der Bürgerschaftswahl beteiligt. Klares Wahlmotto war damals die Forderung "Hartz IV ersetzen, Reichtum verteilen". 


Mit dieser Wahl konnte Bremen ein Zeichen für die westdeutsche Linke setzen, da erstmals der Einzug in das Landesparlament eines westdeutschen Bundeslandes gelang. Dabei wurden mit 8,4 % der Stimmen 7 Mandate errungen.

Die Bremer Linken lasen sich inzwischen nicht mehr, wie die ökologischen Korrelationen belegen, als eine Hartz IV-Protestvereinigung kennzeichnen. Sie sind vielmehr heute stärker in den innenstadtnahen Altbaugebieten und nicht vor allem in den WiN-Gebieten Bremens vertreten. Damit entspricht die Entwicklung in Bremen der in Hamburg zu Beginn dieses Jahres, als dort die Linke in den Hochburgen der Grünen ebenfalls ihre mit 6,9 Prozentpunkten größten Zuwächse erringen konnte. (Hamburg 2015, S. 32)

Entwicklung der ökologischen Korrelationen zwischen den Stimmenanteilen der Linken und ausgewählten Sozialindikatoren im Zeitraum 2007 und 2015

Strukturindikator
Linke 2015
Linke 2007
Anteil Migranten
0,11
0,21
Mobilitätsquote
0,44
0,54
Einpersonenhaushalte
0,74
0,62
Haushalte mit Kindern
-0,50
-0,42
Gymnasiastenanteil
-0,30
-0,50
Arbeitslosenziffer
0,25
0,49
Hartz IV-Empfänger-Anteil
0,16
0,34
Jahreseinkommen (2007)
-0,30
-0,48
Wohnungsgröße
-0,63
-0,74

Diese Entwicklung in Richtung Alternativkultur zeigt sich nicht zuletzt in der Höhe der ökologischen Korrelationskoeffizienten. So haben sich die Beziehungen zu den Merkmalen für den Sozial- und Transferstatus deutlich gelockert, wie etwa die geringere Korrelation mit dem Anteil der Hartz IV-Empfänger belegt, die von r =0,34 auf r =0,16 gefallen ist. Entspechendes gilt für die Arbeitslosenziffer, das Jahreseinkommen und die Wohnungsgröße.

Hingegen ist der Anteil der Stimmen für die Linke jetzt sehr deutlich mit dem Anteil der Single-Haushalte verbunden, wenn der Koeffizient r =0,74 beträgt. Hochburgen liegen so im Viertel, das unter dem Motto "Anders leben, anders einkaufen!" für sich wirbt, und den angrenzenden Ortsteilen, wo Stimmenanteile von 19 % die Regel sind. Damit hat die Linke hier ihre Hochburgen auch gegenüber 2007 deutlich ausgebaut, als sie ihr insgesamt bestes Bremer Resultat mit dem fast schon ostdeutschen Wert von 17,1 % am Steintor erzielte. 

Unter den WiN-Gebieten steht Tenever mit 16% deutlich an de Spitze, während die Partei in Ortsteilen von Gröpelingen und der Vahr nur auf 8 % bis 10 % kommt.


Die BiW: eine zweite "Arbeiterpartei" ?

Damit kann man in Bremen die Linke noch deutlich weniger als die SPD als Arbeiterpartei kennzeichnen. Allerdings wählen auch in anderen ehemaligen Arbeitervierteln in Mitteleuropa nicht alle Einwohner eine sozialdemokratische oder linkssozialistische Partei. In anderen traditionellen sozialdemokratischen Hochburgen wie etwa der österreichischen Haupt- und Industriestadt Wien hat sich die zumeist als rechtspopulistisch eingestufte FPÖ zur zweitstärksten Partei entwickelt und die dortige christdemokratische Partei, die ÖVP, auf den dritten Platz verwiesen. So erreichte vor fünf Jahren etwa bei der Wahl zur Bezirksvertretung des typischen Arbeiterviertels Simmering die FPÖ 34,2 % der Stimmen, während auf die ÖVP nur 7,8 % entfielen.

Für die Wahl 2007 wurde noch ein Merkmal der Sozialstatistik im Bremer Wahlatlas angeboten, das früher eine ganz zentrale Bedeutung hatte, auch wenn die Abgrenzung der einzelnen Kategorien nicht immer ganz eindeutig war und die technologische Entwicklung alte Unterschiede verwischt hat. Es geht um die "Stellung im Beruf" oder speziell den Arbeiteranteil. Darunter konnte man seit Beginn der Industrialisierung die manuell Tätigen oder wie es im Englischen heißt die blue collar-Mitarbeiter abgrenzen, was in einer Vielzahl von Studien zur sozialen Schicht eine zentrale Ausgangskategorie war.

Mit den letzten im Jahr 2004 erhobenen Daten für dieses Merkmal, lassen sich einige aufschlussreiche Korrelationen finden.


Ökologische Korrelationen zwischen zwei Sozialindikatoren und den Stimmenanteil von SPD, Linken und BiW in der Bürgerschaftswahl 2007


Strukturindikator
SPD
Linke
BiW
Gymnasiastenanteil
-0,71
-0,53
-0,41
Arbeiteranteil (2004)
0,85
0,21
0,49
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Nimmt man die im älteren Wahlatlas angebotenen letzten Daten, stellt man fest, dass anders als vielen Selbstdarstellungen behaupten nicht die Linke neben der SPD eine "Arbeiterpartei" ist bzw war, sondern zumindest mit einem ähnlichen Recht die BiW vergleichbar mit der FPÖ in Österreich so genannt werden könnte.

Zumindest 2007 bestand ein deutlich höherer ökologischer Zusammenhang für die BiW mit dem Arbeiteranteil als für die Linke. Diesen direkten Unterschied dürfte auch kein Blick auf den Gymnasiastenanteil, der teilweise als Hilfsindikator für die soziale Schicht verwendet wird, wegwischen können, obwohl hier der Korrelationskoeffizient für die Linke über dem für die BiW liegt. Man könnte aus diesen Zahlen schließlich folgern, dass die BiW-Wähler überdurchschnittlich häufig aus Arbeitervierteln stammen, in denen die Eltern dafür sorgen, dass ihre Kinder ein Gymnasium besuchen.


  
Ähnlich, aber nicht gleich: AfD und BiW

In einer Auswertung der aktuellen Wahlergebnisse vom 10. Mai kann die AfD in den Vergleich einbezogen werden. Dadurch kann man gleich zwei Anschlussfragen nachgehen, die sich durch den neuen Wettbewerber auf dem Bremer Parteienmarkt stellen: 

- Gibt es weiterhin Ähnlichkeiten der BIW mit der SPD bei der sozialräumlichen Wählerstruktur? und 

- Bestehen Unterschiede zwischen den Wählern von AfD und BiW, obwohl die Programme und Ziele der beiden Parteien sehr ähnlich sind?

Auch hier kann sich die Beantwortung auf die Ergebnisse einer ökologischen Korrelationanalyse stützen.


Ökologische Korrelationen zwischen den Stimmenanteilen von BiW, AfD und SPD sowie ausgewählten Sozialindikatoren in der Bürgeschaftswahl 2015


Strukturindikator
SPD
BiW
AfD
Unter 18
0,45
0,18
0,38
18-65
-0,40
-0,33
-0,57
Über 65
0,21
0,28
0,46
Wohndauer
0,23
0,40
0,40
Anteil Migranten
0,64
0,01
0,36
Mobilitätsquote
-0,36
-0,29
-0,40
Einpersonenhaushalte
-0,29
-0,32
-0,48
Haushalte mit Kindern
0,37
0,18
0,37
Gymnasiastenanteil
-0,58
-0,43
-0,37
Arbeitslosenziffer
0,61
0,31
0,41
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
0,72
0,27
0,46
Jahreseinkommen (2007)
-0,74
-0,36
-0,45
Einfamilienhäuser
0,12
0,33
0,40
Wohnungsgröße
-0,32
0,07
0,05
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Bei den diesjährigen Daten für die BiW muss man deren außergewöhnlichen Erfolg im Stadtteil Blumenthal berücksichtigen, wodurch die Korrelationen für die BiW stark durch die Sozialindikatoren dieses Stadtteils geprägt werden.


Vor diesem Hintergrund scheint keine revidierte Beurteilung der BiW erforderlich zu sein. Die Vorzeichen der Korrelationen für die Indikatoren für den Sozial- und Transferstatus stimmen weiterhin überein.

Dabei stellt sich allerdings heraus, dass für die gesamte Stadt Bremen die Ähnlichkeit mit der Wählerstruktur der SPD für die AfD noch größer ist als für die BiW.

Eine Partei einer "neuen" Generation: die FDP?


                                                              FDP-Wahlflyer

Da die FDP nach Hamburger Vorbild trotz ihres Wahldesaster 2011 durch eine veränderte Selbstdarstellung wieder den Einzug in das Landesparlament geschafft hat, ist die Suche nach räumlichen Veränderungen der Wählerstruktur, die zu diesem Resultat beigetragen haben, eine spannende Aufgabe.


Ökologische Korrelationen für die Anteile der FDP in den Jahren 2007, 2011 und 2015 sowie ausgewählte Sozialindiktoren

Strukturindikator
FDP 2007
FDP 2011
FDP 2015
Unter 18
-0,05
-0,16
-0,13
18-65
-0,11
-0,04
-0,12
Über 65
0,15
0,14
0,22
Wohndauer
0,03
-0,01
-0,13
Anteil Migranten
-0,40
-0,25
-0,34
Mobilitätsquote
-0,09
0,07
0,13
Einpersonenhaushalte
-0,19
-0,03
-0,05
Haushalte mit Kindern
0,07
-0,08
-0,08
Gymnasiastenanteil
0,68
0,65
0,72
Arbeitslosenziffer
-0,58
-0,41
-0,53
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
-0,56
-0,41
-0,53
Jahreseinkommen (2007)
0,65
0,48
0,75
Einfamilienhäuser
0,18
0,00
0,01
Wohnungsgröße
0,66
0,48
0,46
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Auffallend sind bei de FDP Indikatorenwerte für 2015, die stärker denen von 2007 als denen des Verlustjahrs 2011 ähnlich sind. Besonder ausgeprägt sind jetzt der Zusammenhang mit dem Jahreseinkommen und dem Gymnasiastenanteil, wobei 2011 die Beziehung zu dem durchschnittlichen Jahreseinkommen mit r = 0,65 deutlich schwächer war als jetzt mit r = 0,75. Diese beiden herausragenden Korrelationen können sogar einen engen inhaltlichen Bezug haben, da die Einkommen erlernt und erarbeitet werden müssen.

Obwohl sich die Lencke-Steiner-FDP als jung und modern darstellt, hat sich während der beiden letzten Legislaturperioden in den Korrelationen mit demografischen Merkmalen nichts Wesentliches geändert. Anders als die "alternativen Vier" ist die FDP der "neuen Generation" in Viertel mit zahlreichen Single-Haushalten durchschnittlich vertreten, wie ein Koeffizient nahe 0 anzeigt. 

Auch ist diese FDP nicht unbedingt eine Partei mit suburbanen Wählern, die mit als Familie mit Kindern im Grünen leben. Zumindest ist dabei der soziale Status erheblich entscheidender als der familiale. 

Das wird besonders deutlich, wenn man die fünf Ortsteile mit den höchsten FDP-Anteilen betrachtet. Dabei handelt es sich einerseits mit Oberneuland, Horn, Radio Bremen und Bürgerpark um beliebte Wohnlagen, wie vor allem die Nähe zum Bürgerpark und zum Rhododendronpark erkennen lässt, und andererseits die Überseestadt, die als Trendviertel für Besserverdienende vermarktet wird. In diesen Gebieten konnte die FDP wieder deutlich über 10 % der Wähler für sich gewinnen.


Ein neuer Stadtteil: die Überseestadt


Auch wenn in diesem Artikel eine Darstellung der sozialökologischen Auswertungen nach Parteien erfolgte, soll zum Schluss ein einzelner Ortsteil folgen. Dabei geht es um die Überseestadt, die als Ensemble untschiedlicher Quartiere auf altem Bremer Hafengelände entsteht, das nicht mehr für seine alten Nutzungen benötigt wird. Diese Entwicklung lässt sich mit der von den Londoner Docklands  und von er Hamburger HafenCity in Hamburg vergleichen.

Da sich die Wohnungen in von Grund auf sanierten und umgebauten alten Lagergebäuden wie dem Speicher I in de Überseestadt oder dem aktuellen Wohntrend entsprechenden Neubauten befinden, fehlen hier die Haushalte, die aufgrund niedriger Mieten in eine Viertel gedrängt werden. Man muss vielmehr eine Präferenz für das Wohnen in Mehrfamilienhäusern in der Nähe von Gewerbeflächen haben und die teuren Objekte mieten oder kaufen können. Sozialwohnungen werden in Hamburg gar nicht angebten.

Die Bevölkerungsstruktur der HafenCity entspricht daher keineswegs dem Hamburger Durchschnitt So waren im Jahr 2013 von den knapp 2.000 Bewohnern 1,6 % arbeitslos, während der Wert in Hamburg insgesamt 5,6 % betrug. Noch krasser war der Unterschied bein den Hartz IV-Empfängern. Während sie in der HafenCity nur 0,2 % ausmachten, waren es im Hamburger Durchschnitt 10,2 %. Entsprechende Unterschiede gelten für die Wohnungsgrößen und die Wohnfläche pro Person.


Neben der sozialen bestehen auch deutliche demografische Abweichungen. So leben in der HafenCity vor allem Menschen zwischen 18 und 65 Jahren, während de Altersgruppe darunter und die darüber verglichen mit dem Hamburger Durchschnitt deutlich unterrepräsentiert sind.



                                  Speicher I mit Wohnungen in der Überseestadt



Aufgrund dieser Besonderheiten in diesen neuartigen Wohngebieten mit ihrer Mischung aus anspruchsvollem Wohnen und gewerblichen Nutzungen lässt sich dort ein entsprechend abweichendes Wahlverhalten erwarten. Diese Erwartung haben auch die Wahlen im Mai bestätigt.


Anteile de Parteien in % in der Bürgerschaftswahl 2015 im Bremer Ortsteil Überseestadt und dem Hamburger Stadtteil HafenCity 


Partei
Überseestadt 2015
HafenCity (Hamburg) 2015
SPD
24,8
43,4
Grüne
11,3
9,9
CDU
29,5
15,5
Linke
4,6
4,6
BiW
4,4
-
FDP
13,1
20,6
AfD
8,0
4,1
PARTEI
0,5

Wahlberechtigte
518
1.065
WB
57,7
68,4
Quelle: Stat. Landesämter


Die Anteile der Parteien sind in beiden postmodernen Hafensiedlungen recht unterschiedlich, auch wenn es einige typische Gemeinsamkeiten gibt. Das st einerseits die bezogen auf die jeweilige Stadt erhebliche Stärke der FDP, womit diese Orts- bzw. Stadtteile jeweils zu den FDP-Hochburgen in Bremen und Hamburg zählen.

Andererseits sind her zwei Parteien relativ schwach. Das gilt ganz besonders für die Linke, die hier etwa die Hälfte ihres durchschnittlichen Stimmenanteils erreicht.

Diese schwierige Situation besteht auch bei den Grünen, deren Wähler wie alle sozialökologichen Untersuchungen belegen, sanierte Altbauviertel bevorzugen. Das wird zumindest in dieser Form in der Überseestadt nicht geboten, da sich alte Speicher kaum mit alten Mehrfamilienhäusern vergleichen lassen, die aus einer Zeit stammen, als man noch viel Zeit und Geld in eine prachtvoll gestaltete Fassade gesteckt hat.

Die Heterogenität zeigt sich bei den übrigen Parteien, also vor allem der SPD und der CDU, wo die Werte für die Überseestadt und die HafenCity deutlich auseinanderklaffen. Bei der SPD liegt der Anteil in Hamburg nur leicht unter dem der Gesamtstadt, wozu auch das breite Ansehen des Bürgermeisters beigetragen haben kann, während sie in der Bremer Überseestadt ausgesprochen schwach ist. Davon hat hier die CDU deutlich profitiert, während sie in Hamburg praktisch bei ihrem gesamtstädtischen Wert liegt.

Allerdings hängen die Anteile der Parteien in diesen Stadtteilen im Bau nicht nur von generellen politischen Trends ab, sondern auch von der Phasen, in denen Haushalte zuziehen. Offensichtlich gibt es dabei deutliche Unterschiede zwischen den ersten Pionieren und den Lückenschließern. Zumindest legen das Hamburger Daten nahe.

Entwicklung der Stimmenanteile in der HafenCity in den Bürgerschaftswahlen  2008-15 (in %)

Jahr   SPDFDPCDUGrüne(1)LinkeAfD
201543,4 
20,6
15,5
9,9
4,6
4,1 

201139,7
16,0
27,1
12,0 
1,1
200815,7
9,8
61,6
12,2 
0,4


(1) 2008 bis 2011 als Grüne/GAL
Quelle: wikipedia


Auch wenn es schwer fällt, die Zahlen im einzelnen zu interpretieren, lässt sich ein Trend zur Anpassung an das Wahlverhalten in der jeweiligen Stadt erkennen, allerdings mit den herausgestellte Abweichungen.


                        Landmark Tower an der Konsul-Smidt-Straße in der Überseestadt


Das Potenzial des Trends


Die für ein Bundesland, in dem es keinen spektakulären Skandal mit anschließenden Neuwahlen gegeben hat, hohen Verluste der beiden Regierungsparteien lenken den Blick auf die Potenziale des Trends. Da die Verluste größtenteils der üblichen Abnutzung von Koalitionen und der schlechten Leistungen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Armut, Bildung, Finanzen und Öffentliche Sicherheit zuzuschreiben sind, wie sie bereits seit Jahren beklagt, aber nicht signifikant geändert wurden, muss der Trend nicht einmal nur eine mathematische Rechnung sein. Es wäre keine Überraschung, wenn es, da kein grundlegende Änderung der Landespolitik erfolgt, daher auch keinen Grund für einen Trendwechsel beim Wählerverhalten gibt.

Wie die Rechnungen in der folgnden Tabelle vor Augen führen, waren und sind die Startbedingungen für einen Machtwechsel in Bremen weiterhin ungünstig. Der einfache Grund ist die Schwäche de CDU, die aus ihrem Absacken auf den dritten Platz im Jahr 2011 offenbar wenig gelernt hat. 



Parteinenateile und Trends im Land Bremen 2015 (in %)

Partei
2015
2011-5 2015-9
SPD 32,8 -5,8 27
Grüne 15,1 -7,4 7,7

47,9 -13,2 34,7





Linke 9,5 3,9 13,4





CDU 22,4 2 24,4
FDP 6,6 4,2 10,8

29 6,2 35,2





AfD/ BiW 8,7 5 13,7

Trotz der Verluste der beiden Koalitonsparteien von 13,2 Prozentpunkten beträgt der Abstand zwischen Rot-Grün und einem möglichen neuen Lager Schwarz-Gelb fast 20 Prozentpunkte. Er würde sich allerdings sogar mit einem kleinen Vorsprung für die jetzige Opposition angleichen, wenn sich die Gewinne und Verluste vom 10. Mai 2015 in der nächsten Wahl - also vermutlich 2019 - wiederholen sollten.


Aber die dann erwartbaren 35 % wären noch keine Mehrheit. Die ließe sich dann nur entweder durch einen weiteren Partner erreichen, also die geschrumpfte SPD, die Grünen oder eine Gruppierung aus dem Lager AfD/BiW, die sich in Bremen fast in jeder Wahl mit mehr oder weniger großem Erfolg beteiligt hat.

Ein Machtwechsel, wie es für jede Demokratie typisch ist, ja, häufig sogar wegen eingetretener Verfilzungen und einer Erstarrung in Routinen notwendig ist, kann daher zumindest bei der nächsten Wahl eine denkbare Möglichkeit sein, wenn es einen richtigen Wettbewerb um das beste Konzept für Bremen und eine wirkliche Wahl zwischen mindestens zwei Politikalternativen gibt.


Hinweis


Einzelanalyse zu Teilaspekten der Bremer Wahl 2015 findet man hier:




Blumenthal am 10. Mai: Der Streit um eine Handvoll straffälliger Jugendlicher verändert die politische Landschaft

Der Bremer Norden nach der Wahl 2015: Bunter, aber ohne rot-grüne Mehrheit

Die 2015-er Wahl in einer administrativ vereinten Stadtlandschaft:
Bremerhaven



Tabellenanhang

Ökologische Korrelationen für die Anteilswerte der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 (Ebene: Ortsteile)



Strukturindikator
SPD
Grüne
CDU
Linke
BiW
FDP
Piraten
AfD
PARTEI
Tierschutz
Wahlbeteiligung 2015
-0,81
-0,07
0,37
0,07
-0,36
0,55
-0,22
-0,56
0,17
-0,40
Unter 18
0,45
-0,58
0,32
-0,39
0,18
-0,13
-0,28
0,38
-0,59
-0,23
18-65
-0,40
0,68
-0,39
0,60
-0,33
-0,12
0,71
-0,57
0,77
0,07
Über 65
0,21
-0,46
0,28
-0,49
0,28
0,22
-0,68
0,46
-0,56
0,05
Wohndauer
0,23
-0,46
0,27
-0,35
0,40
-0,13
-0,66
0,40
-0,44
0,15
Anteil Migranten
0,64
-0,34
-0,27
0,11
0,01
-0,34
0,23
0,36
-0,12
0,07
Mobilitätsquote
0,36
0,54
-0,35
0,44
-0,29
0,13
0,61
-0,40
0,62
0,11
Einpersonenhaushalte
0,29
0,74
-0,67
0,74
-0,32
-0,05
0,51
-0,48
0,82
0,13
Haushalte mit Kindern
0,37
-0,62
0,48
-0,50
0,18
-0,08
-0,37
0,37
-0,66
0,27
Gymnasiastenanteil
-0,58
0,27
0,44
-0,30
-0,43
0,72
-0,31
-0,37
-0,11
-0,48
Arbeitslosenziffer
0,61
-0,27
-0,47
0,25
0,31
-0,53
0,29
0,41
0,07
0,37
Hartz IV-Empfänger-Anteil
0,72
-0,39
-0,38
0,16
0,27
-0,53
0,21
0,46
-0,09
0,29
Jahreseinkommen (2007)
-0,74
0,31
0,52
-0,30
-0,36
0,75
0,24
-0,45
-0,10
-0,55
Einfamilienhäuser
0,12
-0,46
0,43
-0,49
0,33
0,01
-0,54
0,40
-0,50
-0,01
Wohnungsgröße
-0,32
-0,30
0,75
-0,63
0,07
0,46
-0,51
0,05
-0,51
-0,42


Ökologische Korrelationen für die Anteilswerte der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2011 (Ebene: Ortsteile)


Strukturindikator
SPD
CDU
Grüne
FDP
Linke
BiW
Wahlbeteiligung
-0,79
0,50
0,51
0,50
-0,35
-0,44
Unter 18
0,43
0,17
-0,60
-0,16
-0,19
0,42
18-65
-0,46
-0,41
0,76
-0,04
0,53
-0,36
Über 65
0,28
0,37
-0,51
0,14
-0,49
0,17
Wohndauer
0,30
0,33
-0,54
-0,01
-0,36
0,27
Anteil Migranten
0,50
-0,35
-0,31
-0,25
0,38
0,14
Mobilitätsquote
-0,38
-0,41
0,65
0,07
0,51
-0,37
Einpersonenhaushalte
-0,37
-0,51
0,76
-0,03
0,59
-0,49
Haushalte mit Kindern
0,38
0,33
-0,65
-0,08
-0,37
0,43
Gymnasiastenanteil
-0,71
0,61
0,35
0,65
-0,53
-0,41
Arbeiteranteil (2004)
0,85
-0,27
-0,74
-0,49
0,21
0,49
Arbeitslosenziffer
-0,58
-0,58
-0,23
-0,41
0,59
0,25
Hartz IV-Empfänger-Anteil
0,63
-0,49
-0,37
-0,41
0,47
0,28
Jahreseinkommen (2004)
-0,63
0,57
0,30
0,48
-0,57
-0,23
Einfamilienhäuser
0,22
0,41
-0,49
0,00
-0,50
0,30
Wohnungsgröße
-0,30
0,82
-0,29
0,48
-0,75
0,11
Quelle:: Wahlatlas des Stat. Landesamtes


Ökologische Korrelationen für die Anteilswerte der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2007 (Ebene: Ortsteile)

Strukturindikator
SPD
CDU
Grüne
FDP
Linke
Wahlbeteiligung 2007
-0,77
0,51
0,43
0,61
-0,33
Unter 18
0,39
0,15
-0,56
-0,05
-0,28
18-65
-0,36
-0,44
0,69
-0,11
0,60
Über 65
0,18
0,42
-0,46
0,15
-0,52
Wohndauer
0,25
0,26
-0,43
0,03
-0,35
Anteil Migranten
0,52
-0,26
-0,38
-0,40
0,21
Mobilitätsquote
-0,27
-0,38
0,54
-0,09
0,54
Einpersonenhaushalte
-0,30
-0,48
0,68
-0,19
0,62
Haushalte mit Kindern
0,32
0,30
-0,59
0,07
-0,42
Gymnasiastenanteil
-0,76
0,62
0,36
0,68
-0,50
Arbeiteranteil (2004)
0,86
-0,28
-0,73
-0,50
0,13
Arbeitslosenziffer
0,62
-0,55
-0,27
-0,58
0,49
Hartz IV-Empfänger-Anteil
0,69
-0,42
-0,44
-0,56
0,34
Jahreseinkommen (2004)
-0,70
0,56
0,31
0,65
-0,48
Einfamilienhäuser
0,15
0,32
-0,37
0,18
-0,45
Wohnungsgröße
-0,36
0,74
-0,19
0,66
-0,74
Quelle; Wahlatlas des Stat. Landesamtes


II) Ökologische Korrelationen (Ähnlichkeiten) zwischen den Parteien

Ähnlichkeiten der Parteien 2015

Partei
SPD
Grüne
CDU
Linke
BiW
FDP
Piraten
AfD
PARTEI
Tierschutz
SPD
1,0









Grüne
-0,64
1,0








CDU
-0,25
-0,49
1,0







Linke
-0,13
0,72
-0,82
1,0






BiW
0,35
-0,51
-0.04
-0,28
1,0





FDP
-0,63
0,12
0,46
-0,37
-0,30
1,0




Piraten
-0,02
0,39
-0,54
0,52
-0,10
-0,25
1,0



AfD
0,69
-0,74
0,10
-0,46
0,36
-0,29
-0,22
1,0


PARTEI
-0,40
0,82
-0,60
0,83
-0,35
-0,20
0,55
-0,61
1,0

Tierschutz
0,28
-0,05
-0,44
0,28
0,29
-0,41
0,23
0,21
0,27
1,0

Ähnlichkeiten der Parteien 2011 
Partei
SPD
CDU
Grüne
FDP
Linke
BiW
SPD
1,0





CDU
-0,41
1,0




Grüne
-0,68
-0,34
1,0



FDP
-0,64
0,74
0,07
1,0


Linke
-0,06
-0,72
0,42
0,84
1,0

BiW
0,52
-0,10
-0,56
-0,20
-0,15
1,0

Ähnlichkeiten der Parteien 2007

Partei
SPD
CDU
Grüne
FDP
Linke
SPD
1,0




CDU
-0,44
1,0



Grüne
-0,67
-0,34
1,0


FDP
-0,64
0,00
0,00
1,0

Linke
0,16
-0,83
0,42
-0,65
1,0



III) Beispiele für weitere Sozalräume


Ellener Feld (65 und mehr)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
39
46,1
-7,1
Grüne
11,5
16,9
-5,4
CDU
24,9
23,1
1,8
Linke
6,8
3,3
3,5
BiW
1,7
3,3
-1,6
FDP
5
1,5
3,5
Piraten
0,5
1,3
-0,8
AfD
8,5
-
8,5
PARTEI
1
-
1
Tierschutz
1,1
-
1,1


Borgfeld (hoher familialer Status)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
24,3
31,5
-7,2

Grüne
14,1
21,8
-7,7
CDU
37,5
35,2
+2,3
Linke
3,7
2,0
+1,7
BiW
1
2,6
-1,3
FDP
11,6
3,4
+8,2
Piraten
0,7
0,9
-0,2
AfD
5,4
-
+5,2
PARTEI
1,2
-
+1,2
Tierschutz
0,5
-
+0,5


Alte Neustadt (niedriger familialer Status)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
27,4
32,6
-5,2
Grüne
20,3
29,9
-9,6
CDU
19,8
17,6
2,2
Linke
13,3
8,4
4,9
BiW
1,5
1,5
-0,1
FDP
6,4
2,5
3,9
Piraten
1,5
3,4
-1,9
AfD
5,0
-
5,0
PARTEI
3,6
-
3,6
Tierschutz
1,2
-
1,2


Ausländerstatus

Grolland (niedriger Ausländerstatus d.h. wenige Einwohner mit Migrationshintergrund)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
33,4
43,6
-10,2
Grüne
16,0
19,7
-3,7
CDU
24,6
22,0
2,6
Linke
6,4
4,1
2,3
BiW
2,8
3,7
-0,9
FDP
7,2
2,9
4,3
Piraten
0,9
1,0
-0,1
AfD
6,5
-
6,5
PARTEI
0,9
-
0,9
Tierschutz
1,4
-
1,4



Bahnhofsvorstadt  (hoher Ausländerstatus. d.h. viele Menschen mit Migrationshintergrund)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
27,0
32,7
-5,7
Grüne
20,2
26,1
-6,0
CDU
18,9
18,6
0,3
Linke
10,1
7,2
2,9
BiW
1,6
2,7
-1,1
FDP
8,2
3,9
+4,3
Piraten
2,6
3,7
-1,1
AfD
6,4
-
+6,4
PARTEI
3,7
-
3,7
Tierschutz
1,3
-
1,3



Quellen:
 

Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hg.), Analyse der Wahl zur Bürgerschaft in Hamburg am 15. Februar 2015. Band 1: Analyse, Hamburg 2015.
  

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