Mittwoch, 16. Oktober 2013

Wahlen: BiW



Fast eine Regionalpartei des Bremer Nordens:


die Bürger in Wut (BiW)





Rechte Parteien in Bremen



Die Bremer "Bürger in Wut" (BiW) stehen in einer langen Tradition von Parteien, die in Bremen rechts von der CDU Stimmen und vor allem auch Sitze in der Bürgerschaft gewonnen haben. Diese Entwicklung begann mit der Deutschen Partei (DP), die in der Bürgerschaftswahl 1951 noch vor der CDU zweitstärkste Fraktion wurde.


Die jetzt aktive Wählervereinigung BIW ging 2004 aus dem aufgelösten Landesverband der Partei Rechtsstaatlicher Offensive hervor, die nach ihrem Gründer und Spiritus rector Ronald Barnabas Schill auch als Schill-Partei bekannt war und 2001 durch einen Wahlerfolg, bei dem sie aus dem Stand 19,4 % der Stimmen in Hamburg gewann, dort gemeinsam mit der CDU und FDP die Regierung bildete. In Bremen kam die Schill-Partei mit Jan Timke als Spitzenkandidat in der Bürgerschaftswahl 2003 auf 4,4% der Stimmen.


Programmatik der BiW



Aus der Konkursmasse dieser Partei bildete sich 2004 in Bremen unter Jan Timke die BiW, also in einer Zeit, als der Begriff „Wutbürger“ in der politischen Diskussion noch unbekannt war; denn die Auseinandersetzungen um den Stuttgarter Bahnhof, durch die „Wutbürger“ im Jahr 2010 zum Wort des Jahres werden sollte, lagen noch in der Zukunft. Allerdings verstehen sich die Bremer Wutbürger auch durchaus als konservative Menschen, die sich von den Politikern nicht mehr alles gefallen lassen wollen. So treten die BiW in ihrer Selbsteinschätzung für eine „bürgerlich-konservative Politik der Vernunft“ ein. Konkret lehnt sie sich dabei in ihren Positionen an die der Schill-Partei an, in dem sie vorrangig eine restriktivere Kriminalitäts- und Zuwanderungspolitik vertritt als die CDU.



 Jan Timke (Quelle: Pressefoto von BiW)



Wichtige Programmpunkte sind so u.a. ein Kampf gegen eine EU-Beitritt der Türkei und eine Islamisierung Deutschlands, sodass Jan Timke bereits mit Geert Wilders, dem Vorsitzenden der als rechtspopulistischen angesehenen niederländischen Partei für die Freiheit verglichen wird.

Seit der Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) besetzen beide ähnliche Themen, beziehen jedoch unterschiedliche Positionen. So fordern die Wutbürger Aufnahme­zen­­tren für Migranten in Nordafrika, wo Asylvoraussetzungen geprüft werden sollen, und die Rückkehr Deutschlands zur D-Mark.


Die BIW in den Bürgerschaftswahlen 2007 und 2011


Auch wenn die BIW programmatisch nicht mit der DVU verwechselt werden darf, hatte sie räumlich gesehen ein ähnliches Erfolgmuster wie diese ehemalige rechtsextreme Partei, die 2011 mit der NPD fusionierte. Beide hatten eine Hochburg in Bremerhaven und gelangten dadurch nach dem Bremer Wahlrecht auch zu einer Vertretung in der Bremer Bürgerschaft, da die 5%-Klausel getrennt auf Bremen und Bremerhaven angewendet wird.

Auf diese Weise gelangte die BIW bereits 2007, also ein Jahr nach ihrer Gründung, mit 0,8 % der Stimmen im Land Bremen in die Bürgerschaft, da sie in Bremerhaven 5,3 % der Stimmen erzielen konnte. Gleichzeitig errang sie drei Sitze in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung und mit 3,5 % der Stimmen einen Sitz im Beirat des Bremer Stadtteils Horn-Lehe.
Auch wenn sie 2011 im Land Bremen die 5%-Hürde nicht überspringen konnte, stieg ihr Anteil auf 3,7 % und in Bremerhaven auf 7,1 %, sodass der Einzug in die Bremer Bürgerschaft erneut gelang.

Größere Erfolge konnte die BiW jedoch bei den gleichzeitigen Beiratswahlen erzielen, und zwar vor allem im Bremer Norden.Das zeigt ein Blick auf die zehn Ortsteile, in denen die Wutbürger die höchsten Wähleranteile erzielten, denn diese Gebiete liegen ohne Ausnahme alle im Stadtbezirk Bremen-Nord.
 

2011 gelangten die Wutbürger in sieben Beiräte, darunter alle drei des Stadtbezirks Bremen-Nord, wo sie in Blumenthal und Vegesack mit 8,5% bzw. 8,4% ihre besten Stadtteilergebnisse erzielte. In den beiden Vegesacker Ortsteilen Aumund-Hammersbeck und Fähr-Lobbersdorf lag sie sogar bei 10 %.


Hochburgen der BiW bei den Bürgerschaftswahlen 2011 (Anteile in %)

Ortsteil
Bürgerschaft
Beirat
Rekum
9,1
9,1
Rönnebeck
8,1
8,7
Aumund-Hammersbeck
7,8
10,3
Blumenthal
7,6
8,8
Lüssum-Bockhorn
7,1
8,2
Farge
7,0
7,9
Fähr-Lobbersdorf
6,6
9,9
Burgdamm
6,1
8,7
Grohn
5,5
7,2
Vegesack
5,4
7,5


Zu weiteren Veränderungen kam es nach der Wahl, denn im Januar 2012 traten zwei Ortsbeiräte in Bremen-Vegesack von der CDU zu den BIW über, wodurch die BIW zur zweitstärksten Fraktion nach der SPD im Ortsbeirat wurden. Ende März 2013 wechselte die Bremerhavener Stadtverordnete Rebecca Sarnow, die ursprünglich über die Liste der Linken in die Stadtverordnetenversammlung eingezogen war, zu den BiW, die damit den Fraktionsstatus in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung erreichten und damit die entsprechenden Zuwendungen von knapp 30.000 € erhalten.


Auf der anderen Seite ist die BiW in ihrer Hochburg Blumenthal nicht mehr im Beirat vertreten, da ihr Mitglied umgezogen ist und ein Nachrücker auf der Liste fehlte.


Im Oktober 2013 hat sich die Zahl der BiW-Bürgerschaftsabgeordneten durch den Beitritt des promovierten Pädagogen Martin Korol auf zwei verdoppelt, der zuvor wegen angeblich rassistischer Äußerungen aus der SPD ausgeschlossen worden war. Auf diese Weise haben die Wutbürger auch für die Stadt Bremen einen durch die Diskussion um dessen Aussagen über die Roma und Sinti bekannten älteren Politiker für sich gewonnen. Das Ex-SPD-Mitglied sieht sich bei den BiW gut aufgehoben, wie er betont: „Mich macht es wütend, wenn ich immer wieder erfahren muss, wie wenig die Regierenden in Bremen unser Bundesland nach vorne bringen.“ Zuletzt war Martin Korol, der vorher längere Zeit in Marßel, also in einem WiN-Quartier von Burglesum, wohnte, zwischen 2006-2010 Vorsitzender des SPD-Ortsvereins „Weidedamm“.   

Die BiW in den Bremer Beiräten

Stadtteilteil
Anteil 2007
Sitze 2007
Anteil 2011
Sitze 2011
Blumenthal


8,5
1/17
Burglesum


6,0
1/17
Hemelingen


5,7
1/19
Horn-Lehe
3,5
1/15
3,5
1/15
Huchting


5,4
1/17
Mitte


2,5

Neustadt


2,4

Östliche Vorstadt


2,2

Vahr


4,5
1/15
Vegesack


8,4
1/17



Die Wählerstruktur der BiW



Da die Zahl der BiW-Wähler insgesamt in Bremen auch 2011 begrenzt war, konnte die repräsentative Wahlstatistik nur grobe Hinweise auf die Alters- und Geschlechtsstruktur der Wähler ermitteln. Danach lag die BiW nur bei den Männern zwischen 16 und 25 Jahren mit 5,5 % die politisch wichtige Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Weniger erfolgreich waren sie hingegen generell bei den älteren Frauen, von denen die über 60jährigen nur 0,9 % ihre Stimme für diese Wählergruppe abgegeben haben.(Habig)

Weitere Daten ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen. Danach haben die BiW-Wähler nur selten die Hochschulreife, und ein kleiner Teil der Wähler sieht eine besondere Kompetenz der BiW im Bereich „Kriminalität“.


Die sozialräumliche Verteilung der BiW in der Stadt Bremen



Auch wenn die Selbstbeschreibung als bürgerlich-konservativ eine Nähe zur CDU zumindest andeutet, zeigen der Übertritt einer ehemaligen Kandidatin der Linken und die für die Christdemokraten völlig untypische Präferenz unter jungen Männern.

Die sozialräumliche Verteilung, wie sie sich mithilfe der Bremer Daten bestimmen lässt, kann daher zusätzliche Rückschlüsse auf die Bremer Wutbürger ermöglichen.


Dabei fällt zunächst auf, dass sich ihre Anteile in den Soziaräumen zwar deutlich unterscheiden, jedoch immer weit unter den Resultaten der drei nördlichen Stadtteile Bremen liegen. Die BiW sind damit eine stark regional verortetet Wählergruppe in Bremerhaven und dem Stadtbezirks Bremen-Nord. Aufgrund dieser Konzentration auf die nördliche Peripherie des Bundeslandes Bremen können die Wutbürger daher leicht als Protestgruppe interpretiert werden, die auf die spezifischen Problemlagen dieser nördlichen Randbereiche des kleinsten Bundeslandes aufmerksam machen will.Nach der sozialräumlichen Verteilung selbst kann man eine für eine konservative Partei nicht gerade typische Konzentration auf zwei große Teilräume Bremens feststellen. Das sind einerseits Quartiere, die von der Globalisierung wenig betroffen sind und in denen auch die CDU ihre Hochburgen besitzt. Hier erscheint die BiW also als eine durchaus bürgerliche Partei, der allerdings große Wähleranteile in Wohngebieten mit einem hohen sozialen Status fehlen; denn ihre Schwerpunkte liegen in Quartieren mit wenigen Ausländern und relativ vielen Kindern, wie das etwa im Bremer Norden für den Ortsteil Rekum gilt.

Andererseits haben die BiW jedoch auch dort Hochburgen, wo die Bremer CDU besonders schwach ist, und zwar in den WiN-Gebieten mit ihren vielen Empfängern von Transferzahlungen und Ausländern. Wenn es sich dann noch um ehemalige Arbeitergebiete handelt, erreicht die BiW Spitzenergebnisse wie in Blumenthal, Burgdamm und Lüssum.



Anteil der BiW bei den Bürgerschaftswahlen 2011 in den Bremer Sozialräumen


Sozialraum
Anteil in %
WiN-Gebiete
3,0
Großsiedlungen
3,0
Ehemalige Arbeiterquartiere
3,7


Hoher sozialer Status
1,6
Niedriger sozialer Status
2,4


Hoher familialer Status
3,2
Niedriger familialer Status
2,3
Viele Single-Haushalte
1,5
Viele alte Menschen
3,2


Hoher Ausländerstatus
2,7
Niedriger Ausländerstatus
3,3


Stadt Bremen insgesamt
3,1


Diese sozialräumlichen Verteilungsmuster werden durch eine ökologische Korrelation für die Daten der Bremer Ortsteile bestätigt. Die Zusammenhänge sind dabei insgesamt relativ gering, was eine Folge der ausgeprägten regionalen Konzentration auf den Bremer Norden sein kann.

Relativ deutlich wird allerdings eine Verteilung, bei der die Wähler der BiW vor allem in Gebieten leben, die eher einen unteren sozialen Status besitzen und in denen Familien mit Kindern keine Rarität sind. So zeigt sich auch hier, dass die Single-Wohngebiete am Innenstadtrand, in denen die Grünen ihre Hochburgen besitzen, für die Wutbürger untypisch sind. Hier erzielen sie ihre niedrigsten Ergebnisse und mit einem steigenden Anteil von Einpersonenhaushalte sinkt ihr Wähleranteil 

Ökologische Korrelationen zwischen den Anteilen der Bürger in Wut (BiW) und Strukturmerkmalen


Strukturmerkmal (Anteilswerte in % 2010)
2011
Unter 18jährige (Anteil)
0,42
18 – 65jährige (Anteil)
-0,36
Über 65jährige (Anteil)
0,17
Wohndauer der über 18jährige
0,27
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
0,14
Umzüge je 100 Einwohner
-0,37
Einpersonenhaushalte (Anteil)
-0,49
Haushalte mit Kindern (Anteil)
0,43
Sek I an Gymnasien
-0,41
Arbeiteranteil 2004
0,49
Arbeitslosenziffer
0,25
SGB II-Leistungen (Anteil) 2010
0,28
Jahreseinkommen 2004
-0,23
Einfamilienhäuser (Anteil an Häsusern insgesamt)
0,30
Durchschnittliche Wohnungsgröße
0,11


















Aufgrund dieser sozialräumlichen Bezüge lässt sich bereits die Ähnlichkeit des Verteilungsmusters der BiW mit denen der anderen Parteien in Bremen festlegen, was durch die ökologischen Korrelationen der Parteianteile in den Ortsteilen bestätigt wird. Danach besteht die größte Ähnlichkeit aufgrund des sozialen Status mit der SPD und der größte Unterschied aufgrund des fast diametralen Gegensatzes wegen des familialen Status mit den Grünen. 


Korrelationen zwischen den Anteilen der Bürger in Wut der Wahlbeteiligung und den Anteilen anderer Parteien 2007-2011



 2011
2007-2011

Wahlbeteiligung

-0,44
-0,28
Partei


SPD
0,52
-0,05
CDU
-0,10
-0,24
Grüne
-0,56
0,04
FDP
-0,37
-0,06
Linke
-0,32
-0,22






 




Bemerkenswert ist, dass die Teilnahme der Wutbürger an den Wahlen nicht mit der Höhe der Wahlbeteiligung korreliert. Sie konnten also offensichtlich nicht in einem größeren Ausmaß ehemalige Nichtwähler mobilisieren. Vielmehr drückt sich in der deutlich negativen Korrelation die Tatsache aus, dass die Hochburgen der Wutbürger nicht in Quartieren mit hohem sozialen Status und einer hohen Wahlbeteiligung liegen, sondern in WiN-Gebieten, die generell durch viele Wahlenthaltungen auffallen.

Nach diesen kleinräumigen Daten erscheinen die BiW vor allem als eine Regionalpartei des Bremer Nordens, die sowohl in sozial benachteiligten Gebieten als auch in Quartieren überdurchschnittlich viele Wähler findet, die bisher von den Auswirkungen der Globalisierung erst geringfügig betroffen sind. Da beide Sozialraumtypen im nördlichen Stadtbezirk Bremens stark vertreten sind, erhält die Funktion als Regionalpartei eine sozialstrukturelle Absicherung.


Quellen:
Cors, Andreas und Rösel, Barbara, Ergebnisse der Beirätewahlen im Gebiet der Stadt Bremen, in: Statistische Mitteilungen. Heft 114, Bremen 2011, S. 27 – 31.
Donsbach, Rainer, Ex-Linke wird Wutbürgerin, in: Nordsee-Zeitung vom 30.3.2013.
Forschungsgruppe Wahlen e.V., Bürgerschaftswahl im Land Bremen 22. Mai 2011 (Stand: 26. Mai 2011)
Gupta, Oliver das, Wahl in Bremen: "Bürger in Wut". Der Erfolg des Geert Wilders von Bremen, Süddeutsche Zeitung vom 23.5.2011. 

Habig, Markus, Wahlergebnis in der Stadt Bremen nach Altersgruppen und Geschlecht, in: Statistische Mitteilungen. Heft 114, Bremen 2011, S. 37 – 45.
Krämer, Wolf, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Bremerhaven. Problemlagen und Perspektiven. Situations-, Akteurs- und Ressourcenanalyse für den Lokalen Aktionsplan Bremerhaven, Bremen 2010. 

Niedermayer, Oskar, Bürger in Wut. BiW., in: Dossier. Parteien in Deutschland, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung am 8.6.2012.







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