Sonntag, 29. September 2013

Wahl 2013: Piraten



Die Piraten:


eine Partei mit einer sich langsam verlagernden Wählerbasis






Die Zeit, in der die Piraten praktisch alle Kenntnisse der Wahlforschung Makulatur werden ließen, liegen erst gut ein Jahr zurück. Damals konnte die neue Partei ohne eine feste Organisationsstruktur, ohne ein breites Programm und ohne bekannte Politiker gleich mit Anteilen zwischen 7% und 9 % in vier deutsche Landesparlamente einziehen. Zwischen September 2011 und Mai 2012 gelang den Newcomern mit ihrem politisch so untypischen Namen damit ein Wunder an den Urnen, das die Wahlforscher vor schwierige Erklärungsprobleme stellte.


Dabei dürfte gerade dieses Untypische das Rätsel des Erfolgs erklären, der in einer Parteienlandschaft erzielt wurde, die durch Parteienverdrossenheit und eine schwindende Glaubwürdigkeit der Berufspolitiker gekennzeichnet war. In dieser Umgebung konnten die unverbraucht erscheinenden Piraten sogar mit ihrem Personal, das nicht die Professionalität und damit auch nicht die Beherrschung der kritisierten Spielregeln des politischen Geschäfts besaß, als Alternative bei einem breiten Spektrum von Unzufriedenen punkten.

Diese Zeiten sind inzwischen vorbei, und die Piraten müssen ohne regelmäßige Auftritte in den Polittalkshows auskommen. Mit ihrer wieder normalen Präsentation erreichten sie am 22. September in der Stadt Bremen 2,6 % der Stimmen, womit sie leicht über dem Bundesdurchschnitt von 2,2% lagen.

Etwas erfolgreicher schnitten sie bei der gleichzeitig stattfindenden Landratswahl im benachbarten Landkreis Osterholz ab, wo ihr Kandidat in Lilienthal und Ritterhude rund 5 % der Stimmen gewann.




Die Programmatik der Piratenpartei



Der Ausbruch aus dem großen Reservoir der teilweise sektiererischen Kleinstparteien, die häufig erheblich weniger als jeden hundertsten Wähler für sich gewinnen können, gelang den Piraten dank eines Gesetzesvorhabens der Großen Koalition. Als die Familienministerin Ende 2008 eine Kontrolle des Internets im Hinblick auf kinderpornografische Darstellungen einführen wollte, sah die Netzgemeinde darin einen ersten Schritt zur staatlichen Internetzensur. Die anschließende Diskussion machte die Internetpartei der Piraten auch mit ihren anderen internetaffinen Forderungen bekannt, so mit der Einschränkung des Urheberrechts, ein Programmpunkt, der ursprünglich in Schweden zur Gründung der ersten Piratenpartei geführt hatte, und mit der Schaffung eines transparenten Staates und auch transparenter Parteien dank der neuen Möglichkeiten des Internets. Nachdem so ein hoher Bekanntheitsgrad erreicht werden konnte, erzielten Piraten in ihrer ersten Bundestagswahl 2009 2% der Stimmen.

Im Zuge der weiteren Programmentwicklung durch die praktizierte innerparteiliche Demokratie (Jabbusch ) verloren die Piraten immer stärker den ursprünglichen Charakter einer Ein-Thema-Partei
.


Wenn man für diese Entwicklung die übliche parteipolitische Begrifflichkeit verwenden will, tendierten die Partei dabei von ihren anfänglichen libertären Forderungen zur Netzpolitik zu einer stärker sozialen Ausrichtung. Dabei stehen jetzt ein bedingungsloses Grundeinkommen und vor allem in Kommunalwahlkämpfen ein kostenloser ÖPNV im Vordergrund.

Auch wenn damit der Kanon der politischen Forderungen erweitert und sich auf der klassischen Links-rechts-Achse ehe nach links verschoben hat, bleibt der alte Impetus zur Veränderung erhalten, der sich in dem Slogan „Klarmachen zum ändern!“ manifestiert und gleichzeitig einen Bezug zum freibeuterischen Namen herstellt, der sich aus dem Begriff der Internetpiraterie herleitet.




Die Wähler der Piraten


Wie es bei einer Partei, die von Internetenthusiasten gegründet wurde, nicht anders zu erwarten ist, unterschieden sich die Mitglieder und auch die Wähler der Piratenpartei von Anfang sehr deutlich vom Durchschnitt der klassischen Parteien. Ähnlich den Grünen in ihren Anfangsjahren sind die Piraten von der demografischen Struktur ihrer Wähler her vor allem eine Partei der Jüngeren, die unter den Erstwählern und in Umfragen sogar unter Schülern besonders hohe Anteile für sich gewinnen kann.

Allerdings gibt es auch erhebliche Unterschiede zu den Grünen, denn für die Piraten entscheiden sich vor allem Männer. Auch kommen die Anhänger weniger aus dem Bildungs- und Sozialbereich, der mehr oder weniger direkt von den Staatsausgaben abhängt, sondern aus technischen Berufen, und zwar vor allem im IT-Bereich. Diese beruflichen Stellen sind daher erheblich weniger sicher; vielfach zählen sie sogar zum prekären Sektor. 

Zumindest ist dieser Teil des Arbeitsmarktes für die Wähler der Piratenpartei von Beddeutung; denn nach einer Befragung machen sich ihre Anhänger noch stärkere Sorgen um ihren Arbeitsplatz als die der Linken. (Brühler). So zeichnen die bisherigen Analysen der Piratenanhänger das Bild von einer jungen, gut ausgebildeten, aber prekär lebenden Gruppe, was auch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen verständlich macht.




Sozialräumliche Ergebnisse für Bremen



Die neuen Tendenzen in der Programmatik der Piratenpartei, die vor allem durch die in der Wahlwerbung herausgestellte Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, deutlich wird, schlägt sich in veränderten sozialräumlichen Wählerstrukturen in Bremen nieder. So hat sich zwischen den beiden Bundestagswahlen 2009 und 2013 das Verteilungsmuster stärker gewandelt als bei jeder anderen Partei. Auch wenn sich dadurch aufgrund der ganz erheblichen Unterschiede im Jahr 2009 die Hochburgen trotzdem kaum verlagert haben, konnten die Piraten in den sozial benachteiligten Gebieten überdurchschnittliche Gewinne erzielen. Insgesamt gesehen bleiben die Piraten jedoch weiterhin eine Partei, die vor allem in der Innenstadt und in den angrenzenden Altbaugebieten stark ist, wo nur relativ wenige Familie leben, aber viele Einpersonenhaushalte zu finden sind.



Die Sozialraumanalyse im Detail


Da die Piraten inzwischen an zwei Bundestagswahlen teilgenommen haben, kann eine sozialräumliche Analyse nicht nur ihre Wählerschwerpunkte herausarbeiten, sondern auch auf Veränderungen innerhalb der letzten vier Jahre aufmerksam machen.

Die Werte für 2009 weisen deutliche Schwerpunkte auf, die in Quartieren mit einem niedrigen familalen Status liegen, also in Gebieten mit relativ wenigen Kindern und vielen Singlehaushalten. Hier war ihr Wähleranteil sogar mehr als doppelt so hoch wie in dem Gegentyp, also in Wohngebieten mit Kindern wie sie für den suburbanen Raum typisch sind.

Entsprechend der stärker sozial orientierten Programmatik hat sich diese Struktur am 22. September in der Tendenz deutlich, vom Ausmaß her hingegen eher geringfügig verschoben. Zwar sind die Hochburgen identisch geblieben, nur gab es hier deutliche Verluste, während vor allem in den sozial benachteiligten WiN-Gebieten gleichzeitig deutliche Zugewinne zu verzeichnen sind.


Anteile der Piraten in den Bremer Sozialräumen 2009 – 2013




2009
2013
WiN-Gebiete
2,2
2,6
Großsiedlungen
2,1
2,6
Ehem. Arbeiterquartiere
2,4
2,6



Hoher sozialer Status
1,9 
2,0
Niedriger sozialer Status
3,3 
3,2



Hoher familialer Status
1,4 
1,6
Niedriger familialer Status
4,7 
4,1
Viele Single-Haushalte
4,4 
3,8
Viele alte Menschen
1,6  
1,9



Hoher Ausländerstatus
1,6 
3,7
Niedriger Ausländerstatus
3,6 
1,4


Diese Entwicklung zeigt sich in abgeschwächter Form auch in den ökologischen Korrelationskoeffizienten. Während 2009 der stärkste Zusammenhang des Wähleranteils der Piratenpartei mit der Häufigkeit von Einpersonenhaushalten bestand, ist das jetzt nicht mehr in dieser Eindeutigkeit der Fall, da die Merkmale der Alterstruktur an Bedeutung gewonnen haben.

Zusätzlich haben sich die Zusammenhänge mit den sozialen Merkmalen im engeren Sinn geändert. So hat die Korrelation mit der Einkommenshöhe, die 2009 positiv war, jetzt einen negativen Wert, und auch die allerdings sehr geringe Korrelation mit dem Anteil der Bezieher von Transferleistungen ist geringfügig gestiegen.


Ökologische Korrelationen zwischen den Anteilen der Piraten und Strukturmerkmalen

Strukturmerkmal (Anteilswerte in % 2012)
2009
2013
Unter 18jährige (Anteil)
-0,49 
-0,31
18 – 65jährige (Anteil)
0,68 
0,76
Über 65jährige (Anteil)
-0,51 
-0,70
Wohndauer der über 18jährige
-0,38 
-0,65
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
0,09 
0,24
Umzüge je 100 Einwohner
0,63 
0,69
Einpersonenhaushalte (Anteil)
0,75 
0,61
Haushalte mit Kindern (Anteil)
-0,58 
-0,44
Sek I an Gymnasien
-0,26 
-0,31
Arbeitslosenziffer
0,27 
0,34
SGB II-Leistungen (Anteil)
0,10 
0,21
Jahreseinkommen 2007
0,33 
-0,32
Einfamilienhäuser (Anteil an
-0,48 
-0,66
Durchschnittliche Wohnungsgröße



-0,63 
-0,56




 

 

 

 





 








Mithilfe dieser Verteilungsmuster ihrer Wähler lassen sich sozialräumliche Ähnlichkeiten der Parteien bestimmen. Im Vergleich mit den anderen Parteien unterscheiden sich die Piraten dabei sowohl 2009 als auch 2013 besonders deutlich von der CDU. Ihre stärkere soziale Ausrichtung hat jedoch dazu geführt, dass sie 2013 nicht mehr den Grünen besonders stark ähneln wie 2009, sondern jetzt eher der Linken.


Korrelationen zwischen den Anteilen der Piraten der Wahlbeteiligung und den Anteilen anderer Parteien

 

 

2009
 2013

Wahlbeteiligung

0,00
-0,16
Partei


SPD
-0,18
-0,02
CDU
-0,66
-0,59
Grüne
0,57
0,44
FDP
-0,27
-0,28
Linke
0,29
0,52

 

 

 

 




Wie bereits 2009 hatte die Wahloption „Piraten“ auch 2013 praktisch keinen Effekt auf die Höhe der Wahlbeteiligung. Das galt für ihr erstes Auftreten, und auch jetzt mit der leicht veränderten Programmatik dürfte der sehr geringe negative Zusammenhang vor allem aus der gesunkenen Wahlbeteiligung in den Quartieren resultieren, in denen die Piraten Zugewinne erzielen konnten.

Zeigen die bisher betrachteten Indikatoren trotz aller tendenziellen Verschiebungen noch eine gewisse Stabilität der Wählerstrukturen an, gilt das nicht mehr, wenn man die Anteilswerte der Piraten von 2009 und 2013 vergleicht. Während hier die CDU, die Grünen und die SPD Werte von über 0,9 erzielen, beträgt der Korrelationskoeffizient für die Piraten nur 0,72. Er liegt damit sogar noch unter dem der Linken, für die ebenfalls eine deutliche Verschiebung ihrer Wählerstruktur nachgewiesen wurde, da sie in ihren Hochburgen in den WiN-Gebieten besonders stark verloren haben.

Interkorrelationen der räumlichen Verteilungen 2009 – 2013


Partei
Korrelationskoeffizient 2009-13
CDU
0,97
Grüne
0,97
SPD
0,92
FDP
0,80
Linke
0,77
Piraten
0,72

Ein Blick auf die Hochburgen veranschaulicht die gefundenen sozialräumlichen Aussagen durch die Benennung konkreter Wohnquartiere. Werte von annähernd 5% und mehr wurden einerseits in den innenstadtnahen Altbaugebieten erzielt, in denen auch die Grünen und die Linke besonders stark sind, andererseits jedoch im engeren Citybereich wie den Ortsteilen Alte Neustadt und Altstadt, also Quartieren, in denen kaum Familien leben, denen aber auch der Charme der angrenzenden Altbauviertel fehlt.

Entwicklung in den Hochburgen der Piraten (Wähleranteile in %)


Ortsteil
2009
2013
Alte Neustadt
3,91
5,61
Altstadt
3,53
4,97
Bahnhofsvorstadt
4,62
3,85
Findorff
4,11
4,29
Hohentor
4,39
5,33
Regensburger Str.
4,08
4,03
Steintor
4,04
3,46
Südervorstadt
4,59
3,62


Quellen:


Bartels, Henning,
 Die Piratenpartei. Entstehung, Forderungen und Perspektiven der Bewegung, Berlin 2009.

Blumberg, Fabian, Partei der „digital natives“? Eine Analyse der Genese und Etablierungschancen der Piratenpartei, Berlin 2010.


Brähler, Elmar und Decker, Oliver, Die Parteien und das Wählerherz, Leipzig 2012.


Deckers, Daniel, Piratenpartei. Jung, männlich, gottlos, in: FAZ vom 20.4.2012.


Diez, Georg, Rosa, die Dritte, in: Der Spiegel vom 11.3.2013, S. 138 – 140.


Eisel, Stephan, Wer warum die Piraten wählt. Analyse der Landtagswahlen 2011/12 in Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Sankt Augustin 2012.


Hensel, Alexander und Klecha, Stephan, Die Piratenpartei. Havarie eines politischen Projekts?, Frankfurt/Main 2013.


Jabbusch, Sebastian, Eine neue Chance für innerparteiliche Demokratie im 21. Jahrhundert? Liquid Democracy in der Piratenpartei, Universität Greifswald 2011.


Jacobsen, Lenz, Repräsentative Umfrage. Piraten-Wähler sind arm, aber glücklich, in: Zeit vom 11. September 2012.


Koschmieder, Carsten, Piraten und Possenreißer statt Politiker und Populisten. Eine Analyse der Anti-Establishment- und Anti-Parteienbewegungen in Europa, September 2012.


Neumann, Felix, Die Piratenpartei. Entstehung und Perspektive, Freiburg im Breisgau 2011.


Neuman, Tobias, Die Piratenpartei Deutschland. Entwicklung und Selbstverständnis, Berlin 2011.


NN, Beziehungsstudie zur Bundestagswahl: Piraten-Wähler sollen am treuesten sein, Spiegel online vom 23.7.2013.


Zolleis, Udo, Prokopf, Simon und Strauch, Fabian, Die Piratenpartei. Hype oder Herausforderung für die deutsche Parteienlandschaft, München 2010.

Samstag, 28. September 2013

Wahl 2013: AfD

Die AfD: 

Auch eine Alternative für lokale Probleme?




Eine der großen Überraschungen beim Ergebnis der Bundestagswahl am 22. September war das Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD). Als eine ganz junge Partei, die erst im Februar gegründet wurde und die von den Demoskopen erst in den allerletzten Tagen vor dem Wahltermin möglicherweise im Bundestag gesehen wurde, schaffte sie fast den Sprung über die 5 %-Hürde. Am Ende waren es dann deutschlandweit 4,7 %, wobei die AfD in Sachsen mit 6,8 % ihren Spitzenwert unter den Bundesländern erzielte. Dort erreichte sie im Wahlkreis Görlitz mit 8,2 %, also an der Grenzen nach Tschechien und Polen, ihre Bestmarke. Der absolute Spitzenwert auf Gemeindeebene wurde dabei mit 15,6 % aus Dürrhennersdorf gemeldet.

In Bremen und Niedersachen erzielte sie hingegen mit 3,7% ihre schlechtesten Länderergebnisse.


Die AfD in der ARD-Wahlanalyse

Im Nachhinein hatten die Demoskopen gleich eine Erklärung für ihre Prognosen parat, die im Falle der AfD vermutlich einen Einfluss auf die Wahlentscheidung und damit die Zusammensetzung des Bundestags und möglicherweise sogar die Koalitionsbildung hatten. Zumindest wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn bei Prognosen von 4 % bzw. 5%, also einer signalisierten realen Chance auf einen Einzug in den Bundestag zusätzliche Wähler bei der AfD ihr Kreuz gemacht hätten, die jedoch ihre Stimme nicht unter den Tisch fallen lassen wollten, sondern statt ihrer Wunschpräferenz eine andere Partei gewählt.

Nach dieser schwer widerlegbaren Rechtfertigung soll sich der Aufstieg der AfD erst kurz vor der Wahl vollzogen haben. Danach hat sich „die Hälfte der AfD-Wähler“ „am Wahltag oder in den Tagen zuvor für die neue Partei“ entschieden.

Dieser späte Entschluss zugunsten der AfD wird mit der Motivlage begründet, denn jeder zweite AfD-Wähler hat seine „Entscheidung aus Enttäuschung über andere Parteien getroffen“.


Nach diesen demoskopischen Daten sah eine Mehrheit (56 % der Befragten) in der AfD keine ernst zu nehmende Partei. Positiv sahen hingegen viele, dass es eine Partei gäbe, die zwar kein Problem löse, aber die Dinge beim Namen nenne (44%) oder auch eine Partei gewählt werden könne, die sich gegen den Euro ausspreche. (21 %)

Aufgrund dieser Einschätzung waren immerhin 37 % der Befragten der Meinung, mit der AfD gebe es eine Alternative für diejenigen, „die sonst gar nicht wählen würden“.



Die demografische Struktur der AfD-Wähler


Nach den ARD-Zahlen hat die AfD 2013 in allen Altersgruppen unter 60 Jahren über der Fünf-Prozent-Marke gelegen, wobei sie die höchsten Werte bei Männern bis 45 Jahre sowie bei Arbeitern erzielte.

Diese Befragungsdaten werden auch durch erste Auswertungen der repräsentativen Wahlstatistik bestätigt. So erreichte die „Alternative“ in Nürnberg bei den Männern einen deutlichen höheren Anteil als bei den Frauen. (Nürnberg, S.2)


Die Programmatik der AfD

Generell wird in den Medien die AfD mit den Adjektiven „euro-" bzw. „europakritisch“ gekennzeichnet, um damit auf einen zentralen Programmpunkt der jungen Partei hinzuweisen. So hat bespielsweise auch nach dem AfD-Wahlerfolg in Sachsen der dortige CDU-Fraktionsvorsitzenden von seiner Partei gefordert, die Europapolitik stärker in den Mittelpunkt zu rücken und „das Feld des soliden Wirtschaftens nicht der 'Alternative für Deutschland'“ zu überlassen.


Allerdings ist es fraglich, ob sich das Wahlergebnis vor allem auch in seiner innerstädtischen Differenzierung wie etwa in Bremen allein aus einer unterschiedlichen Verteilung von Euroskeptikern erklären lässt.

Die Einengung auf die Europapolitik verkürzt ohnehin die Programmatik der "Alternative", die gleichzeitig weitere Programmpunkte auch im Wahlkampf plakativ herausgestellt hat; denn es geht keineswegs nur um die „Kernforderung“ einer „geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“ und die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde, etwa einen Nord- und einen Süd-Euro.

In dem stark an volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen orientierten Programm geht es auch um ein deutlich vereinfachtes Steuerrecht, eine Energiewende, bei der sich die Höhe der Subventionen für die verschiedenen Energieformen klar erkennen lässt, und eine restriktive Zuwanderungspolitik, die sich an den Bedürfnissen der deutschen Volkswirtschaft orientiert. Als Vorbild dient dabei Kanada. 

Auf diese Weise will man eine „ungeordnete Zuwanderung in die Sozialsysteme“ unterbinden. Ernsthaft politisch Verfolgte sollen jedoch weiterhin in Deutschland jederzeit Asyl finden können, und zwar ohne Einschränkungen bei der Arbeitserlaubnis.





Sozialräumliche Ergebnisse für Bremen



Nach einer Sozialraumanalyse für Bremen lassen sich die AfD-Wähler in einigen Bereichen näher kennzeichnen. Dabei wird deutlich, dass mit dem Auftreten der AfD keine nennenswerte Erhöhung der Wahlbeteiligung verbunden war. Vielmehr sind in ihren Hochburgen, den Wohngebieten mit niedrigem sozialen Status, sogar 2013 relativ weniger Wahlberechtigte zu den Urnen gegangen als 2009.

Durch diese sozialräumlichen Schwerpunkte ähnelt die Verteilung der AfD-Wähler teilweise dem Muster der SPD, während sie eher im Gegensatz zu dem der Grünen steht.



Auffallend ist dabei in Bremen ein räumlicher Zusammenhang zwischen hohen AfD-Anteilen und der umstrittenen Unterbringung von Flüchtlingen. Hier hat die AfD in Ortsteilen besonders gut abgeschnitten, wo es zu Protestaktionen der Einwohner gegen die Pläne der Sozialbehörde gekommen ist.




Die Sozialraumanalyse im Detail 

Allein aus zeitlichen Gründen gibt es bisher kaum empirische Untersuchungen über die Wähler der AfD, da sie erstmals am 22. September auf Stimmzetteln stand. Auch ist die Zahl ihrer Wähler weiterhin relativ gering, sodass sich unter den üblichen Stichproben von Wahlbefragungen bestenfalls etwa 50 AfD-Anhänger befinden, die sich anschließend nur schwer weiter nach zusätzlichen Merkmalen differenzieren lassen. Gerade in diesem Fall bietet das Stat. Landesamt Bremen daher durch seine kleinräumigen Daten ein schnell verfügbares Datenmaterial an, auch wenn wegen des geringen Stimmenanteils Bremen nicht unbedingt ein ideales Untersuchungsgebiet darstellt. 

Innerhalb der Bremer Sozialräume erzielte die AfD relativ hohe Werte in den Gebieten mit einem niedrigen sozialen Status, vor allem wenn es sich dabei um WiN-Gebiete handelt, die mit ehemaligen Arbeiterquartieren identisch sind. Auf der anderen Seite war die Alternative besonders schwach in den innenstadtnahen Altbaugebieten, also den Wohngebieten, in denen offensichtlich ganz „Alternative“ zu finden sind, und zwar die Anhänger der Grünen und Vertreter eines teilweise „alternativen“ Lebensstils, der sich sozialstatistisch in vielen Singlehaushalten und nur wenigen Kindern und Jugendlichen abbildet.


Anteile der AfD in den Bremer Sozialräumen in %

Sozialräume

Anteil der AfD 2013

WiN-Gebiete
3,9
Großsiedlungen
3,4
Ehem. Arbeiterquartiere
4,4


Hoher sozialer Status
2,9
Niedriger sozialer Status
3,9


Hoher familialer Status
3,8
Niedriger familialer Status
 3,3
Viele Single-Haushalte
2,6
Viele alte Menschen
3,4


Hoher Ausländerstatus
3,2
Niedriger Ausländerstatus
3,6


Diese Aussagen werden durch die ökologischen Korrelationen der AfD-Anteile mit einigen Strukturmerkmalen abgesichert. Auch wenn die ausgewiesenen Zusammenhänge nicht sehr stark ausgeprägt sind, ist die AfD in den eher sozial benachteiligten Gebieten stark, in den durch einen eher alternativen Lebensstil geprägten hingegen schwach.


Ökologische Korrelationen zwischen dem Wähleranteil der AfD und Strukturmerkmalen

Strukturmerkmal (Anteilswerte in % 2012)
Anteil der AfD 2013 in %
Unter 18-jährige (Anteil)
0,43
18 – 65-jährige (Anteil)
-0,37
Über 65-jährige (Anteil)
0,18
Wohndauer der über 18-jährigen
0,05
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
0,36
Umzüge je 100 Einwohner
-0,31
Einpersonenhaushalte (Anteil)
-0,34
Haushalte mit Kindern (Anteil)
0,39
Sek I an Gymnasien
-0,30
Arbeitslosenziffer
0,32
SGB II-Leistungen (Anteil)
0,42
Jahreseinkommen 2007
-0,23
Einfamilienhäuser (Anteil)
0,15
Durchschnittliche Wohnungsgröße
-0,05





















Dieses Ergebnis gilt keineswegs nur für Bremen. Vielmehr stellt eine vergleichbare Untersuchung für Hannover fest: „Die AfD erzielt relativ hohe Wahlergebnisse dort, wo viele Migranten, viele kinderreiche Familien oder viele Personen mit niedrigen materiellen Standards (Arbeitslose, häufiger Transferleistungsbezug, geringe Wohnflächen) wohnen.“ (Landeshauptstadt Hannover, S. 38)



Die sozialräumliche Ähnlichkeit zwischen der AfD und anderen Parteien



Aus diesen sozialräumlichen Stärken und Schwächen der Parteien folgen zwangsläufig Ähnlichkeiten zwischen den räumlichen Verteilungen ihrer Wähler. Hier sorgen die hohen Stimmanteile der AfD in den Gebieten mit niedrigem sozialen Status und mit vielen Transferleistungsempfängern dafür, dass zumindest eine Ähnlichkeit zur WiN-Partei SPD besteht.

Eine deutlich negative Korrelation, also eine Verteilung mit fast entgegengesetzten Hochburgen und Diasporagebieten, gilt hingegen für die Grünen. Hier scheinen sich in diesen beide als „alternativ“ apostrophierten Parteien ganz unterschiedliche räumlich verortetet Lebensstile zu manifestieren.


Ökologische Korrelationen zwischen den Anteilen der AfD, der Wahlbeteiligung und den Anteilen anderer Parteien


Partei

Ökologischer Korrelationskoeffizient
Wahlbeteiligung
-0,47
Veränderung der Wahlbeteiligung 2009- 2013
-0,43


SPD
0,54
CDU
0,01
Grüne
-0,56
FDP
-0,23
Linke
-0,26


 

 

 

 

 


Die neue Alternative und die Wahlbeteiligung

Anders als es in den Befragungen angegeben wurde, lässt sich in den BremerDaten kein Zusammenhang zwischen hohen Anteilen für die AfD und einer Mobilisierung ehemaliger Nichtwähler finden. Der Zusammenhang ist vielmehr negativ, worin sich die in den sozial benachteiligten Gebieten insgesamt gesunkene Wahlbeteiligung niederschlägt. 



Die Bremer AfD-Hochburgen und ihre lokalen Probleme


Weitere Informationen über die AfD-Wähler lassen sich durch einen Blick auf die Hochburgen dieser neuen Partei erhalten, der es auch in Bremen in einigen Ortsteilen gelungen ist, über die 5%-Hürde zu gelangen.

Die Ortsteile machen dabei auf eine statistische Koinzidenz aufmerksam, die sich sogar leicht erklären lässt. Hochburgen der AfD waren nicht die besonders stark benachteiligten Bremer Quartiere, sondern vor allem die, in denen aktuell über die Unterbringung von Flüchtlingen gestrittenen wird. Das gilt unmittelbar für drei der sieben Hochburgen, während die übrigen ebenfalls in der Nähe sozialer Brennpunkte oder diskutierter Flüchtlingsunterkünfte liegen.

Man kann also vermuten, dass für eine Minderheit der Bewohner sozial benachteiligter Gebiete die Begrenzung der Zuwanderung wichtiger ist als die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.


Die Bremer Hochburgen der AfD 2013 in %


Ortsteil
AfD-Anteil
Flüchtlingsdiskussion
Grohn
5,89
ja
Hohweg
5,59

Rönnebeck
5,32

Fähr-Lobbendorf

ja
Hemelingen
5,07
ja
Osterholz
5,07

Lüssum-Bockhorn
5,05



Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse der anderen Ortsteile bestätigt, für die Flüchtlingsunterkünfte geplant sind bzw. waren. Auch hier sind umstrittene Entscheidungen mit Anteilen für die AfD verbunden, die über dem Bremer Durchschnitt liegen. Wenn die Standortwahl hingegen als begründet angesehen wird, findet man keine erhöhten Werte. Die AfD hat also nicht von der Flüchtlingsdiskussion generell profitiert, sondern nur von wenig überzeugenden und daher strittigen Vorgaben der Sozialbehörde.

Das sollte man daher auch bei der häufig überaus kritischen Beurteilung der AfD nicht vergessen.


Weitere Ortsteile mit mehr oder weniger umstrittenen Flüchtlingsunterkünften

Ortsteil

AfD-Anteil 2013 in %

Arbergen
4,4

Arsten
4,7

Bahnhofsvorstadt
3,6
Ohne Diskussion
Neue Vahr Südwest
3,6
Ohne Diskussion
Stadt Bremen
3,6



Quellen:

Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth, Bundestagswahl 2013, Nürnberg 2013.

Lachmann, Günther, Die konkreten Ziele der Alternative für Deutschland, in: Welt vom 6.4.2013.

Landeshauptstadt Hannover (Hg.), Bundestagswahl 2013 in der Region Hannover. Ergebnisse – Analysen – Vergleiche, Hannover 2013.

Plickert, Philip, Alternative für Deutschland. Mehr als Euro-Kritik, in : FAZ vom 15.4.2013.

Rose, David, Wahlergebnis in der Analyse Wer wählte was warum?, bei: www.tagesschau.de.

Timmann, Patrick, Meinungsforscher zum AfD-Resultat. Wer hat die Alternative für Deutschland gewählt?, auf: www.euractiv.de.