Freitag, 1. Februar 2013

Krebs


Wie (krebs-)krank macht uns die Umwelt?



Eine Auswertung des Krebsregisters ist nur bedingt geeignet, um die Auswirkungen von konkreten Emissionsquellen (z.B. Brewa-Anlagen, Tanklager und Kraftwerk in Farge und die Arcelor Stahlwerke) auf die Gesundheit der der Anwohner zu messen. Dafür sind vor allem andere Faktoren verantwortlich, die das Risiko von Krebserkrankungen beeinflussen (z.B. der Zigarettenkonsum), sowie die langen Latenzzeiten.

Trotzdem haben kleinräumige Auswertungen des Bremer Krebsregisters, die im November 2012 veröffentlicht wurden, ein gegenüber Bremen erhöhtes Krebsrisiko für den Stadtteil Blumenthal und die Wohngebiete in der Nähe der früheren BWK und in den Ortsteilen Burgdamm, Burg-Grambke und Lesum im Stadtteil Burglesum nachgewiesen, die nahe den Arcelor Stahlwerken liegen.




                                                      Quelle: wikipedia


„Rauchen kann tödlich sein.“ Mit dieser Aussage wird jeder Käufer einer Packung Zigarettenpackung gewarnt. Und auch jeder Nichtraucher weiß, dass eine mit Zigarettenrauch geschwängert Umgebung die Gesundheit gefährdet.

In diesem Fall gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die es dem Gesetzgeber erlauben, sogar die gesundheitlichen Folgen des Rauchens ganz konkret zu benennen. So dürfen die Hersteller als Warnhinweis auch Durchblutungsstörungen, Schlaganfälle, Impotenz, Herzinfarkte und Lungenkrebs als konkrete Folgewirkungen benennen.

Diese Ergebnisse lassen sich relativ leicht gewinnen und überprüfen, wenn man die Krankheitshäufigkeiten und die Lebenserwartung von Rauchen und Nichtrauchern vergleicht, da sich zwischen beiden Gruppen deutliche Unterschiede etwa beim Risiko einer Erkrankung an Lungenkrebs und bei der Lebenserwartung nachweisen lassen.

Schwieriger sind ähnliche Feststellungen, wenn man mögliche Ursachen wie das Rauchen und einzelne Krankheiten nicht so eindeutig und konkret benennen kann.

Das gilt beispielsweise für die verschiedenen Umweltemissionen, die wir als Strahlung, über die Luft, oder mit unserer Nahrung aufnehmen. Wir sind eben nicht nur die Anwohner einer Müllverbrennungsanlage, sondern haben eine spezifische Erbsubstanz, besondere Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und wechseln in unserem Leben üblicherweise mehrfach die Arbeitsstelle und die Wohnung, sodass für unserer Gesundheit eine Vielzahl von einzelnen Faktoren relevant ist.

Und auch unserer Gesundheit lässt sich nicht nur als die Abwesenheit einzelner klar definierter Krankheiten erfassen. In vielen Fällen ist sogar die Diagnose unserer Beschwerden äußerst schwierig und eine Vielzahl von Krankheiten ist kaum erforscht oder lässt sich nicht auf unbestrittene Ursachen zurückführen.


Umweltbelastungen durch technische Großanlagen


In unserem Land, das auf seine Umweltschutzpolitik stolz ist und in dem eine betont ökologische Partei im Bund und in vielen Ländern an der Regierung beteiligt waren und ist, gibt es eine Vielzahl von Vorschriften, nach denen problematische Großanlagen kontinuierlich auf mögliche Gefahren überprüft werden, die von ihren technisch unvermeidlichen Emissionen ausgehen, wenn sie nicht zuvor gereinigt wurden.

Dennoch haben tatsächliche oder vermeintliche Giftschleudern immer wieder zu Bürgerprotesten und zur Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen geführt, da die Anwohner von Kraftwerken, Müllverbrennungslangen, Chemiefabriken, Raffinerien oder Tanklagern immer wieder Sorgen wegen ihrer Gesundheit hatten und haben. Das gilt nicht nur, weil sie in diesen Anlagen tickende Zeitbomben sehen, in denen es jederzeit zu Unfällen und damit Umweltkatastrophen kommen kann. Vielfach fehlt auch der Glaube, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte, wenn sie denn eingehalten werden, tatsächlich gesundheitliche Beeinträchtigungen verhindern.

Daher wird immer wieder eine Prüfung der gesundheitlichen Auswirkungen dieser technischen Großanlagen geführt, deren Probleme sehr exemplarisch an drei Beispielen veranschaulicht werden sollen.


Mögliche exemplarische Zusammenhänge von industriellen Emittenten und Erkrankungen

Anlage
Beispiele möglicher giftiger Emissionen
Exemplarische Erkrankungen
Steinkohlekraftwerk
Allergien, Asthmaanfälle, Atembeschwerden, Herzinfarkt, bei Kindern Mittelohrentzündungen, Lungenkrebs
Tanklager
Reizungen der Haut, Augen, Atemwege, Schwindel, Kopfschmerz, Schädigungen der Nieren, Krebs (1)
Sondermüllverbrennung
Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit, starker Gewichtsverlust, Schädigung der Leber, Depressionen, Krebs

 1) Laut Brief des Umweltsenators an Tanklager-Anwohner vom 6.5.2009.

Wie diese Übersucht werden bei den ausgewählten Anlagen jeweils für eine mögliche toxische Emission die Erkrankungen aufgeführt, die dem Feinstaub, BTEX und Dioxinen mit großer Sicherheit zugeschrieben werden können.

Strittig ist dann jeweils, ob es in einem konkreten Fall gelungen ist, die gefährliche Stoffe beispielsweise durch Filterverfahren so reduzieren sowie Unfälle bzw. unbemerkte Leckagen zu vermeiden, sodass keinerlei gesundheitliche Schäden aufgetreten und nachweisbar sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht dieselbe Bedeutung besitzen, wie z.B. die Temperatur 0 Grad für das Wasser; denn beim Übertritt über einen Richtwert ändert sich nicht schlagartig die Qualität eines Stoffes. Vielmehr handelt es sich um willkürliche Festsetzungen, bei denen Fachleute glauben, dass die Gefahren tolerierbar sind, wenn man sie etwa mit den gesparten Kosten vergleicht.

Derartige Entscheidungen sind zwangsläufig strittig, sodass in zahleichen Fällen Überprüfungen der tatsächlichen Auswirkungen gefordert werden. Die Medien bringen dann in den Überschriften zumeist Krebserkrankungen mit den giftigen Emission von Anlagen in Verbindung, obwohl es keineswegs die einzigen sind, wie die Übersicht zeigt. Man kann die Bildung von Tumoren bestenfalls als die Spitze eines Eisbergs bezeichnen, obwohl auch das nicht ganz korrekt ist, weil ganz verschiedene Auslösefaktoren mit den verschiedenen Krebsarten bzw. in der medizinischen Fachsprache Tumorlokalisationen oder Entitäten verbunden sind. Man müsste also zunächst einmal von zahlreichen Eisbergen sprechen.

Anders als für die Betroffenen haben diese Tumorerkrankungen für die Untersuchung von Umweltbelastungen einen Vorzug gegenüber einer Kopfschmerzen oder Schlafstörungen; denn sie werden statistisch relativ sorgfältig erfasst, sodass zumindest prinzipiell eine wissenschaftliche Analyse von möglichen Zusammenhängen leicht möglich ist. Die anderen Erkrankungen fallen hingegen unter das ärztliche Schweigegebot und können daher, wenn überhaupt, nur durch schwierige Bewohnerbefragungen erhoben werden, wobei die Antwortbereitschaft der Befragten relativ gering sein dürfte.

Auch wenn Krebserkrankungen daher keineswegs die volle Breite von Krankheitsfällen ausmachen, die möglicherweise aus Umweltemissionen resultieren, stellen sie gleichwohl einen gravierenden Bereich dar und können auch generell als Indikator für gesundheitsgefährdende Umwelteinflüsse dienen.



Da einerseits die Ursachen von Krebs- und Tumorerkrankungen nicht eindeutig bekannt sind, sich andererseits jedoch vielfach räumliche Häufungen von Krankheits- und Todesfällen gezeigt haben, wurden in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern Krebsregister eingeführt. Vorreiter war hier Hamburg, wo Krebserkrankungen bereits seit 1926 statistisch erfasst und ausgewertet werden. Seit Mai 2009 gibt es auch ein Bundeskrebsregisterdatengesetz, das allerdings wegen der Zuständigkeit der Länder nur das Zentrum für Krebsregisterdaten „stärkt“ und formell den klinischen Krebsregistern eine offizielle Rolle in der Krebsregistrierung zuweist. So werden in Deutschland Krebsdaten zentral beim Robert-Koch-Institut in Berlin gesammelt, das alle zwei Jahre die Broschüre "Krebs in Deutschland" veröffentlicht.

Da die Führung von Krebsregistern in Deutschland Ländersache ist, trat in Bremen ein entsprechendes Landesgesetz im September
1997 in Kraft, das die Regelungen des Bundeskrebsregistergesetzes von 1995 umsetzt. Darin wurden u.a. alle Bundesländer verpflichtet, flächendeckende Landeskrebsregister bis zum 01. Januar 1999 einzurichten.

In Bremen erfolgt die Arbeit des Registers gegenwärtig nach der 2001 zuletzt novellierten Fassung des Bremischen Krebsregistergesetzes (BremKRG), in dem das Ziel der Datenerfassung darin gesehen wird, die epidemiologische oder bevölkerungsbezogenes Beobachtung der Krebserkrankungen sowie ihre „wissenschaftlichen Erforschung“ und die „Verhütung und Eingrenzung dieser Krankheiten“ zu „unterstützen“.

Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff epidemiologisch bezeichnet die gesundheitsbezogenen Zuständen der Bevölkerung, worunter konkret Daten über die Tumorerkrankungen in einer Region verstanden werden. Dadurch werden  zeitliche Vergleiche innerhalb einer Region oder mit anderen Regionen möglich, sodass sich Entwicklungstendenzen und Häufungen von Erkrankungen feststellen lassen. Aus deutlichen Konzentrationen soll auf mögliche Ursachen geschlossen werden, die sich dann beseitigen lassen. Man spricht daher von einem zeitlichen und räumlichen Monitoring. 


Die Daten und ihre Auswertungsmethodik


Nach § 3 des Bremer Krebregistergesetzes werden über einen Meldebogen neben soziodemografischen Merkmalen wie Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift, Datum der ersten Tumordiagnose und Sterbedatum epidemiologische Angaben zum Tumor erfasst. Dazu zählen die Tumordiagnosen und Lokalisation sowie die Art und das Ziel der Therapie.

Mit diesen Informationen sollen die Risiko- und Ursachenforschung (z.B. Einflüsse von Arbeit, Umwelt und persönlichen Lebensgewohnheiten) ermöglicht, die Beurteilung von Früherkennungsmaßnahmen geleichtert und der zeitliche Verlauf der Erkrankung und die Überlebenschancen besser prognostizierbar werden.

Nach den Zahlen des Krebsregister Bremens sind bezogen auf 100.000 Einwohner jährlich etwa 600 Neuerkrankungen und 300 Tote zu erwarten. Insgesamt erhält das Register jährlich 1.800 Meldungen, wobei auch Mehrfachmeldungen etwa vom Hausarzt, von der Klinik und von einem Pathologen einbezogen sind.

Jährlich werden so in Bremen insgesamt ca. 5.000 Krebsneuerkrankungen registriert. Darunter fallen etwa 1.300 Erkrankungen an nicht-melanotischen Hauttumoren. Diese Tumoren werden nach internationalen Konventionen in der Krebsberichterstattung nicht berücksichtigt, da sie einerseits gut heilbar sind und so gut wie nie zum Tode führen, sich andererseits jedoch nur schwer erheben lassen, da sie bei Betroffenen häufig an verschiedenen Körperstellen wiederkehren, sodass sich Wiedererkrankungen von Neuerkrankungen kaum unterscheiden lassen.

Aus diesem Rohdatenpool müssen außerdem Doppelzählungen eliminiert werden. Probleme bereitet vor allem die zeitliche Zuordnung, da einige Krebserkrankungen erst als DCO-Fälle (Death Certificate Only), also durch die Todesbescheinigung bekannt werden. Das trifft überdurchschnittlich häufig auf Krebserkrankungen des Pankreas zu, wo sie beispielsweise bei Männern 10 % aller Meldungen ausmachen, während es insgesamt nur 5 % sind.

Da diese DCO-Fälle in dem Jahr zur Inzidenz addiert werden, in dem die Patienten verstorben sind, kann es zu Artefakten in der Inzidenz kommen, weil es sich häufig um Krebserkrankungen handelt, die bereits in vorangegangenen Jahren diagnostiziert worden sind. Nicht zuletzt wegen dieser Fälle vergehen mindestens zwei Jahre vergehen, bis alle Krebserkrankungen eines Jahrgangs vollzählig an das Register gemeldet werden und der Abgleich mit den Todesbescheinigungen des entsprechenden Jahres vollzogen ist. Eine sehr zeitnahe Auswertung ist daher nicht möglich.

Da Krebserkrankungen sehr altersabhängig auftreten, stellt man eine internationale und regionale Vergleichbarkeit der Daten durch sogenannte SIR-Raten, d.h. und altersstandardisiertes Inzidenzverhältnisse, sicher. Dabei werden die beobachteten Fälle auf eine altersmäßige Standardbevölkerung umgerechnet. Vergleichsmaßstab sind daher in den Studien üblicherweise SIR-Raten unter Einschluss der DCO.

Hintergrund dieser Standardisierung ist die Tatsache, dass Krebserkrankungen mit dem Alter überdurchschnittlich häufig sind, sodass andernfalls Gebiete mit einer jungen Bevölkerung, wie man sie etwa in Neubauvierteln findet, im Durchschnitt nur geringe Krankheit- und Sterberaten aufweisen würden, während es etwa in Blöcken mit Alterheimen zu extremen Häufungen käme, und das ganz unabhängig von anderen Faktoren ausschließlich wegen des Alters.

Aber auch die so aufbereiteten Neuerkrankungen liefern kein objektives Bild des realen Krebsgeschehens, sondern werden beispielsweise durch die Werbung für besondere Untersuchungsmaßnahmen beeinflusst. Das gilt etwa für Reihenuntersuchungen bei Brustkrebs oder Änderungen bei der Abrechnung von Vorsorgeuntersuchungen. Es kann also zu Melde-Artefakten kommen. So wurden etwa im Juni 2001 damit begonnen, zunächst in Bremen südlich der Weser und später in der gesamten Stadt Frauen der Altersgruppe 50-69 Jahre zur Mammographie einzuladen. Diese Aktivitäten führten zu einem Anstieg der Brustkrebsinzidenz in Bremen-Stadt, nicht aber in Bremen-Nord geführt, da an die dort lebenden Frauen in den Jahren 2001 und 2002 noch keine Einladungen verschickt worden waren.

Diese Details beim Meldeverhalten sind keineswegs Lappalien; denn die Autoren der kleinräumigen Analyse haben damit für das Jahr 2003 eine um 10% über dem Durchschnitt liegende Gesamt-Krebsinzidenz für Frauen in Blumenthal erklärt. Ähnlich verzerrend können in den Blumenthaler Daten auch die hier besonders wenigen DCO-Fälle sein, weil dadurch „die Inzidenz in „Blumenthal“ relativ zum Stadtgebiet“ anstieg. (2006, S. 19)

Bei den kleinräumigen Auswertungen ist generell noch zu beachten, dass der Ortsbezug der Kranken bzw. Toten durch das Krebsregister nicht nach Ortsteilen, sondern als Geocodierung nach den Gauß-Krüger-Koordinaten erfolgt. Ausgangsdatum ist dabei jeweils der Adresse zum Zeitpunkt der Diagnose bzw. des Todes.



Bundesländervergleich 2010 bei Lungenkrebs und Pleuramesotheliom


Mit den Daten des Krebsregisters lassen sich Vergleiche zwischen den Bundesländern vornehmen, was in Bremen für Lungenkrebs und Pleuramesotheliom, eine Tumorerkrankung des Brustfells, unternommen wurde, da diese Lokalisationen in diesem Bundesland untypisch hoch sind. (2010 , S. 15f.)

So gehört der Lungenkrebs zwar in allen deutschen Bundesländern zu den häufigsten Krebserkrankungen, aber in Bremen liegt die altersstandardisierte Neuerkrankungs- und Sterberate bei Männern mehr als 30 % und bei Frauen sogar fast 50 % über dem Bundesdurchschnitt. Verantwortlich sind dafür vermutlich hohe Raucheranteile; denn Bundesländer mit einem niedrigen Raucheranteil wie beispielsweise Bayern haben auch geringere Neuerkrankungs- und Sterberaten bei Lungenkrebs. Das muss nicht überraschen, denn nur ca. 10 - 15 % der Lungenkrebsfälle werden auf andere Ursachen als das aktive Rauchen zurückgeführt.

Eine ebenfalls sehr enger Zusammenhang besteht zwischen Pleuramesotheliom und einer Expostion, also einem Umgebungseinfluss, von Asbest. So wird Asbest für etwa die Hälfte aller Fälle als Ursache angenommen. So kann es nicht überraschen, dass dieser Tumor bei Expositionen mit Asbest oder Glasfaserstäuben als Berufskrankheit anerkannt wird, obwohl wegen einer Latenzzeit von 20 bis 40 Jahren diese Exposition nur schwer nachweisbar ist.

Da Bremen war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein bedeutender Asbestumschlags- und Verarbeitungsort für Asbest war, sind hier noch heute die Inzidenzziffern für diese insgesamt relativ seltene Lokalisation vergleichsweise hoch. So wurde bereits Anfang der 1990er Jahre ein bis zu zehnfach erhöhtes Risiko für Asbesterkrankungen in Bremen festgestellt, wobei rund ein Siebtel der bundesweiten asbestbedingten Todesfälle auf berufliche Expositionen zurück, die in Bremen oder Bremerhaven erworben wurden.

Sogar noch heute – also trotz des Asbestverbots in Deutschland seit 1993 - ist die vom Bremer Krebsregister erfasste Inzidenz bei Männern in Bremen mehr als viermal so hoch wie in Bayern, während Pleuramesotheliom bei Frauen sehr selten (2010, S. 24) 

Sozialer Status und Krebsinzidenz  (2000-5, S. 10 f.)


Wenn man mögliche räumlich begrenzte Umweltbelastungen feststellen will, müssen andere Risikofaktoren ausgeschaltet werden, da nur ein Negativ-Schluss möglich ist, also gesundheitliche Folgen von Umweltbelastungen angenommen werden, wenn keine individuelle Erklärungen möglich sind.

Deutliche Einflüsse auf das Risiko einer Krebserkrankung mit ihren häufig tödlichen Folgen gehen von einigen Verhaltensmustern aus, die eine relativ enge Beziehung zum Geschlecht und zum sozialen Status der Betroffenen haben. An erster Stelle nehmen dabei die Autoren der Bremer Analysen von Krebsregisterdaten eine höheren Rauchprävalenz bei Männern und in unteren sozialen Schichten zu nennen, wobei sie sich auf den Gesundheitssurvey von 1998 stützen. (2005, S. 16)

In dieser groß angelegten Befragung wurde die soziale Schicht nach einem Index von Winkler bestimmt, nach dem damals 23% der befragten Bevölkerung zur Unterschicht, über 55% zur Mittelschicht und ca. 22% zur Oberschicht zählten. Zuordnungskriterien waren dabei das Einkommen, die Bildung und die Stellung im Beruf.


Anteil der Raucher in % an der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter

Schicht
Männer
Frauen
Unterschicht
47,4
30,1
Mittelschicht
37,8
29,5
Oberschicht
29,0
25,0

Quelle: Bundesgesundheitssurvey 1998, zitiert nach Gesundheit in Deutschland, Berlin 2006,S. 84


Da dem Bremer Krebsregister keine Individualdaten zu den Schichtmerkmalen vorliegen, hat man die möglichen schichtspezifischen Effekte für die Krebsinzidnez in den einzelnen Ortsteilen durch sogenannte ökologische Kennzeichnen ersetzt. Dabei wurden in den Analysen die Patienten einem von fünf Sozialraumclustern zugeordnet, die entsprechend dem Benachteiligungsindex gebildet wurden. Im Stadtbezirk Bremen –Norden zählen so St.Magnus zur höchsten sozialräumlichen Stufe, Farge, Rekum und Svhönebeck zur folgenden, Aumund-Hammersbeck, Lesum und Rönnebeck zur mittleren, Burgdamm, Burg-Gramke, Fähr-Lobbendorf und Vegesack zur vierten und schließlich Blumenthal, Grohn und Lüssum-Bockhorn zur niedrigsten sozialräumlichen Kategorie.

Eine auf dieser Grundlage durchgeführte Analyse der Sterblichkeit ergab im Land Bremen während des Zeitraum 2000-2005 in mit Sozialräumen mit niedrigem Status für Männer eine um 50 % und für Frauen eine um 30 % erhöhte Gesamtmortalität im Vergleich zum Sozialraum mit dem höchsten soziale Status. Bei Krebserkrankungen, und zwar ohne die von nicht-melanotischen Hauttumoren, zeigt sich somit für Männer in der Stadt Bremen eine deutliche höhere Neuerkrankungs- und Sterberate für Sozialräume mit geringerem Sozialstatus. Dabei ist die Differenz mit einer um 45 % höheren Rate bei der Mortalität also deutlicher ausgeprägt als bei der Inzidenz.

Für Frauen findet man hingegen weitaus geringere Unterschiede zwischen den Sozialräumen.

Auf der Ebene von Stadtteilen liegen die Inzidenzraten in den Stadtteilen Walle, Gröpelingen und der Neustadt über dem städtischen Durchschnitt. Die niedrigsten Erkrankungsraten weisen hingegen Schwachhausen, Vahr, Osterholz und der aggregierte Stadtteil Horn-Lehe, Borgfeld und Oberneuland auf, die zu den Sozialräumen mit dem höchsten sozialen Status zählen. Dabei zeigt sich eine zeitliche Kontinuität der Ergebnisse, denn die Stadteile Walle und Gröpelingen wiesen bereits in den ersten regionalen Untersuchungen des Bremer Krebsregisters im Jahr 2004 eine überdurchschnittlich hohe Neuerkrankungsrate auf.

Die durchgeführten kleinräumigen Analysen konnten für verschiedene Krebsentitäten einen deutlichen Zusammenhang zum sozialen Status der Sozialräume nachweisen. Dabei darf die Schichtzugehörigkeit jedoch nicht als kausaler Faktor interpretiert werden, sondern als  Indikator für einen bestimmten Lebensstil, der eine besondere Exposition gegenüber krebserregenden Stoffen im beruflichen Bereich einschließt.

Sozialräumliche Aspekte der 10 häufigsten Krebsarten bei Männern und Frauen 2003-5 im Land Bremen

Tumorlokalisation

Häufigkeit Männer in %
Häufigkeit
Frauen in %
Sozialräumliche Verteilung
Prostata
22,0

Geringere Inzidenz, aber höhere Mortalität in Gebieten mit niedrigem Status, die durch eine unterschiedliche diagnostische Aktivität erklärt wird
Lunge
17,5
9,1
Deutlich höhere Inzidenz und Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem Status wegen eines höheren Raucheranteils
Darm
14,2
16,3

Harnblase
9,3
4,0
Während bei Männern die Inzidenz in Sozialräume mit niedrigem soziale Status höher ist, sinken für Frauen Inzidenz und Mortalität tendenziell; als Risikofaktoren gelten das Rauchen sowie Kontakte berufliche Kontakte mit bestimmten Chemikalien
Mund/ Rachen
4,5

Extrem höhere Inzidenz und vor allem Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem Status, wobei Alkohol und vor allem Rauchen als Ursachen vermutete werden
Niere
4,0


Magen
3,4
3,1
Höhere Inzidenz und Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem Status bedingt durch einen höheren Anteil von Trinkern und Rauchern,  aber auch geringerem Verbrauch von Obst und Gemüse sowie stärkeren Konsum von gepökelten und geräucherten Speisen
Malignes  Melanom
2,9
2,6
Bei Männern eine geringere Zahl von Inzidenzen in Gebieten mit niedrigem sozialem Status, wofür  als Ursache eine erhöhte Sonnenexposition vor allem in der Kindheit angenommen wird
Non-Hodgkin Lymphon
2,7
3,0

Pankreas
2,6
2,5

Brust

29,7
Höhere Inzidenz und abgeschwächt auch Mortalität in Gebieten mit höherem sozialem Status, wofür als Ursachen ein höheres Alter bei der ersten Geburt, eine geringere Kinderzahl und eine häufigere Hormoneinnahme der Frauen angenommen werden
Gebärmutterkörper

5,1
Bei Frauen in Gebieten mit niedrigem sozialen Status sind die Inzidenz und vor allem die Mortalität höher, was auf unterschiedliche sexuelle Verhaltensmuster (frühere Aufnahme des Geschlechtsverkehrs, häufigerer ungeschützter Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern, höhere Geburtenzahl) zurückgeführt wird
Eierstöcke

4,2



Tabakassoziierte Krebserkrankungen (2000-5, S. 21)


Um dem Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem sozialen Status weiter nachzugehen, wurden in der kleinräumigen Analyse speziell tabakassoziierte Krebserkrankungen betrachtet, wobei diese Gruppe alle Krebserkrankungen der Mundhöhle und des Rachens, der Speiseröhre, der Bauchspeicheldrüse, des Kehlkopfs, der Lunge und der Harnblase umfasst. Als Ergbnis  fanden die Forscher eine deutlich höhere Inzidenz und Mortalität in Sozialräumen mit niedrigem sozialen Status, wobei die Mortalität  in den Sozialräumen bei Männern auf der untersten der fünf Statusstufen 70 % erhöht war. Ein paralleler Trend war bei Frauen deutlich schwächer ausgeprägt.


Die Krebsinzidenz in Bremen-Nord

Mit der Publikation vom November 2012 liegen inzwischen in Bremen kleinräumige Krebsdaten für den Zeitraum von 2001 bis 2009 vor, sodass auch bei relativen kleinen Fallzahlen durch räumliche und zeitliche Zusammenfassungen recht detaillierte und spezialisierte Untersuchungen möglich sind.

Im ersten Untersuchungszeitraum von 2001-2004 zeigten sich bei den Männern deutliche Unterschiede in der Krebsinzidenz zwischen den drei Stadtteilen des Bremer Nordens. Dabei lag in Blumenthal die Inzidenz über dem städtischen Durchschnitt, während Burgleseum und vor allem Vegesack deutlich darunter rangieren. Bei den Frauen findet man hingegen kaum Abweichungen vom Durchschnitt.

Krebsinzidenz in Bremen-Nord 2001-2004 (2007,S. 12)

Stadtteil
Männer
Frauen
Blumenthal
627,2
434,6
Burglesum
591,5
432,7
Vegesack
580,0
433,8
Schwachhausen
574,3
458,6
Horn/ Blockland
521,9
409,5
Gröpelingen
774,1
456,7
Bremen insgesamt
623,3
433,7

In der aktuellen Zeitspanne von 2005 bis 2009 gibt es hingegen deutlich abweichende Ergebnisse. So liegen jetzt im Vergleich zur Gesamtstadt alle drei Stadtteile bei den Männer über dem Durchschnitt. Noch bemerkenswert ist jedoch die Veränderung bei den Frauen, denn hier liegt der Wert Blumenthals jetzt über dem städtischen Durchschnitt, und das obwohl man hier nicht den niedrigen sozialräumlichen Status ins Feld führen kann. Bei dieser hohen Inzidenz in Blumenthal lassen daher anhand der Daten Umweltbelastungen als mögliche Verursachung nicht ausschließen.

In Burglesum und vor allem Vegesack lassen hingegen die Zahlen erneut eine stärkere Belastung der Männer erkennen, was auf die Auswirkungen einer Arbeit im Stahlwerk oder die Spätwirkungen von gefährlichen Stoffen wie Asbest in Vegesack hinweisen kann.

Krebsinzidenz in Bremen-Nord 2005-2009 (2012, S. 13)

Stadtteil
Männer
Frauen
Blumenthal
491,4
362,1
Burglesum
477,0
337,9
Vegesack
464,2
319,3
Schwachhausen
403,2
354,6
Horn/ Blockland
 422,6
326,5
Gröpelingen
526,6
402,3
Bremen insgesamt
464,1
350,1


Für die Autoren der Studie lassen sich diese räumlichen Verteilungsmuster, wie bereits erwähnt, in erster Linie durch das unterschiedliche Gesundheitsverhalten benachteiligter Bevölkerungsgruppen erklären; denn gerade der Raucheranteil, als Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs, ist in den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen besonders hoch. Darüber hinaus liegt vermutlich auch der Einfluss beruflicher Expositionen in den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen höher. (2010, S. 17)

Zur Abschätzung des möglichen Einflusses der Sozialstruktur auf die Erkrankungshäufigkeit in den Untersuchungsregionen wurde zu jedem Ortsteil der Untersuchungsregionen ein in der Sozialstruktur vergleichbarer Ortsteil aus dem Bremer Stadtgebiet ausgewählt und als neue vergleichende Untersuchungsregion definiert. Die Auswahl erfolgte nach dem Ranking des Bremer Benachteiligungsindex durch Auswahl des jeweils im Ranking direkt darüber stehenden Ortsteils.

Räumliche Detailuntersuchungen in Bremen-Nord


Im Auftrag des Umweltsenators beobachtet das Bremer Krebsregister seit 2004 regelmäßig die Krebsinzidenz im Umkreis von zwei Industrieanlagen, und zwar begann man  2004 mit der ehemalige Wollkämmerei (BWK) in Bremen-Blumenthal und 2007 kamen die heutigen Arcelor Stahlwerke Bremen hinzu, deren Umweltbelastungen vor allem in Teilen von Burglesum vermutet werden.

Als Untersuchungsräume hat man in beiden Fällen Radien von ca. 3 km um den Standort geschlagen und die darin liegenden Ortsteile als Bezugsregion definiert.


Die Bremer Wollkämmerei (BWK) im Ortsteil Blumenthal


Untersuchungsregion

Bei der BWK zählen die Ortsteile Rönnebeck, Lüssum-Bockhorn, Blumenthal, Aumund-Hammersbeck und Vegesack zur Untersuchungsregion, also ein Gebiet, in dem etwa 48.000 Einwohner leben.

Rohergebnisse


Die erste Auswertung für das Erkrankungsjahre 2001 ergab für die BWK-Region eine erhöhte Erkrankungshäufigkeit für Krebs im Vergleich zum übrigen Stadtgebiet von Bremen. Dabei wies eine geschlechtsspezifische Auswertung der Erkrankungsdaten für sieben Einzellokalisationen eine erhöhte SIR aus, wobei allerdings nur für Pleuramesotheliom, einen bösartigen Tumor des Rippenfells, bei Männern und „sonstige Hauttumoren“, d.h. Hautkrebs, ohne das bösartige Melanom, das eine eigene Kategorie darstellt, bei Frauen die Abweichungen sehr ausgeprägt waren. (2004, S. 7)  Als Erklärung verwies man auf die hohe Exposition gegenüber Asbest, wie sie an einem Werftenstandort damals berufsbedingt vorkommen konnte.

Insgesamt wurden die Erhebungsfakten deutlich in Richtung durch eine mögliche individuelle Verursachung interpretiert, ohne das jedoch zwingend beweisen zu können. So stellten die Autoren fest, dass die Region „einen niedrigen sozioökonomischen Status“ hat, „der dort auch eine höhere Krebserkrankungsrate erwarten lässt.“ Dabei hat man sich auf den  Gesundheitsbericht Bremen 1992 berufen, der „erhebliche Unterschiede im Erkrankungsrisiko und dem Sterblichkeitsrisiko zwischen einzelnen Bremer Regionen aufgezeigt“ und in dem der Ortsamtsbereich „Blumenthal“ in fast allen Bereichen eine „höhere Risikobelastung“ aufweist. Als Gründe werden dabei u.a. Übergewicht und Rauchen genannt.  (2004, S. 9)

Zusammenfassend kamen die Autoren daher zu dem Schluss: „Ein Zusammenhang zwischen den Emissionen der BWK in den vergangenen Jahrzehnten und einem heute erhöhten Krebsrisiko in der ausgewählten Region kann mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht hergestellt werden.“

Die Untersuchung des Erkrankungsjahres 2001 konnte daher für die Wissenschaftler in keinen kausalen Zusammenhang mit dem Versuchsbetrieb in der Eindampf- und Feuerungsanlage der BWK in Verbindung gebracht werden, der erst im März 2003 aufgenommen wurde. Der Grund ist die Latenzzeit bei Krebserkrankungen, denn „eine Analyse des Erkrankungsjahres 2001 kann also Hinweise über krebsauslösende Expositionen der Bevölkerung etwa in den Jahren 1960-1995 geben.“

Derartige Aussagen würden nach der Meinung der Autoren vielmehr „personenbezogene Expositionsdaten“ erfordern, „die mittels zusätzlicher Befragung von Krebserkrankten und Vergleichpersonen im Rahmen einer Fall-Kontrollstudie untersucht werden könnten“. Diese finanzielle Barriere ergänzten sie abschließend noch durch eine zeitliche, als sie feststellten:
„Eine Auswertung in Bezug auf die neue Anlage der BWK könnte frühestens in 10-15 Jahren erfolgen.“ ( 2004, S. 9)

Später wurde die ersten warnenden Ergebnisse aus dem Frühjahr 2004 nicht mehr gefunden und auf eine mögliche Besonderheit des nur zur Verfügung stehenden Diagnosejahrgangs 2001 zurückgeführt. So stellte man fest:

„In den Untersuchungen der folgenden Jahre konnte der Befund in dieser Größenordnung nicht bestätigt werden. So zeigte eine Analyse über den Diagnosezeitraum 2001 –2004, die im Oktober 2008 durchgeführt worden ist, für die BWK-Region bei beiden Geschlechtern eine Krebsinzidenz, die auf gleichem Niveau mit der im Bremer Stadtgebiet liegt und eine Untersuchung der Erkrankungsjahre 2000 –2005 ergab für Männer eine um 5 Prozentpunkte höhere Inzidenz.“


Bereinigte Daten und aktuelle Ergebnisse

Dennoch wurde in der Interpretation weiterhin vor Rückschlüssen auf eine mögliche Umweltbelastung durch die BWK gewarnt, indem die Autoren die Entstehung einer Krebserkrankung als „ein multifaktorielles Geschehen“ herausgestellten, für das in einer Region „sozioökonomische Faktoren, Lebensweise (Rauchverhalten, Ernährung, Alkohol), berufliche Belastung und
Umwelteinflüsse“ verantwortlich sind. (S. 3)

Erst als die Forscher für die BWK-Region mit den Ortsteilen Walle, Steffensweg, Burg-Grambke, Blockdiek, Sebaldsbrück und Sodenmatt ein Vergleichgebiet heranzogen, das vom Benachteiligungsindex der Ortsteile sehr ähnlich ist, konnte und musste man diesen Verweis auf mögliche schichtspezifische Verzerrungseffekte aufgeben.

So schreiben die Autoren in der Analyse: „Im aktuellen Untersuchungszeitraum 2005 –2009 zeigt sich für die Region um die BWK bei Männern eine geringfügig erhöhte Neuerkrankungsrate (+ 6%) für die Gesamtheit aller Krebserkrankungsformen im Vergleich zum übrigen Stadtgebiet von Bremen“. Frauen weisen in der Untersuchungsregion hingegen die gleiche Neuerkrankungshäufigkeit auf wie im übrigen Stadtgebiet

Die Berücksichtigung der sozialstruktureller Faktoren, die erstmals 2009 angewandt wurde, lässt es jetzt jedoch nicht zu, die erhöhte Krebsinzidenz im BWK-Bereich ausschließlich auf ein wenig gesundheitsbewusstes Verhalten der Einwohner zurückzuführen. So räumen die Wissenschaftler jetzt ein: „In der Untersuchungsregion scheint  der Unterschied bei der Neuerkrankungsrate bei Männern jedoch nicht alleinig durch die Sozialstruktur der Bevölkerung erklärbar zu sein, da sich dies in der Region mit ähnlicher Sozialstruktur nicht widerspiegelt.“

Dennoch wird die BWK nicht als möglicher Verursacher genannt, sondern Betriebe, die es nicht mehr gibt, die keinen Besitz in Blumenthal mehr haben und an die sich kaum noch jemand erinnern kann; denn es sind – eingedenk der Latenzzeit bei Krebserkrankungen – die Werften.

So heißt es im Text für den Senator: „Bei der Interpretation des Befundes muss berücksichtigt werden, dass die Region um die BWK in den 1960-1990er Jahren ein Werftenstandort war und die Bevölkerung, insbesondere Männer als dort
Beschäftigte, einer höheren Schadstoffsexposition ausgesetzt waren als im übrigen Stadtgebiet. Durch die zum Teil lange Latenzzeit für die Entstehung einer Krebserkrankung könnten diese beruflichen Belastungen sich bis heute noch in der Erkrankungshäufigkeit niederschlagen.“ (2012; S. 3)

Die vom Senator beauftragten Forscher finden also erstmals gesundheitsgefährdenden Umweltfaktoren, nur machen sie dafür inzwischen nicht mehr vorhandene Betreibe verantwortlich. Das würde voraussetzen, dass deren krebserzeugender Effekt erst mit meinem gehörigen Schläfereffekt eintreten würden.

Aber was wäre, wenn man die Latenzzeit kürzer fassen würde, wie es die Vertreter der Registerauswertungen auch gemacht haben, als sie von 5  bzw. 10 Jahren gesprochen haben. Zumindest wäre es hier angezeigt gewesen, die unterschiedlich langen Latenzphasen verschiedener Krebsarten zu berücksichtigen und die Aussagen in einer entsprechenden Sonderauswertung zu prüfen.

Nimmt man in Blumenthal Latenzzeiten von 5 bis 10 Jahren an, findet man eine recht plausible Erklärung für die aktuellen kritischen Ergebnisse: das erstmals nachgewiesene erhöhte Krebsrisiko resultiert aus Anlagen, die erst während dieser Latenzzeit mit ihren Emissionen begonnen haben und das trifft auf die Brewa-Anlagen zu.


Krebsneuerkranken je 100.000 Einwohner und Jahr im Zeitraum 2005-8

Geschlecht

BWK-Region
SIR
Sozialräumlich ähnliche Vergleichsregion
Männer
716,4
1,06
657,2
Frauen
571,9
1,00
554,5
Männer und Frauen
642,0
1,03
605,2


Die Stahlwerke Bremen

Anlass einer weiteren kleinräumigen Spezialstudie war im November 2006 eine Anfrage des Umweltsenators, die sich auf den Verdacht einer Häufung von Krebserkrankungen bei Anwohnern im Bereich der Stahlwerke Bremen bezog. Die erste Auswertung wurde hier im März 2007 vorgelegt.

In diesem Fall ist  durch den Standort der heutigen Arcelor Stahlwerke im Ortsteil Industriehäfen vor allem der Stadtteil Burglesum betroffen und vor allem wegen der Nähe zur Emissionsquelle Burg-Gramke. Als Stahlwerke-Region wurden zusätzlich noch die Ortsteile Burgdamm, Lesum und Oslebshausen betrachtet, wo ca. 36.000 Einwohner leben.

Gleich in ihrem ersten Bericht gaben die Autoren vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin Entwarnung. Fazit ihrer Auswertung für die vier Jahre 2001- 2004 war, dass sich im Umkreis der Bremer Stahlwerke „keine Auffälligkeiten der Gesamt-Krebsinzidenz und der Inzidenz bei ausgewählten Krebsentitäten im Vergleich zum übrigen Stadtgebiet aufzeigen“ lassen.

Diesen Befund sahen sie im Einklang mit einer Untersuchung des Bremer Krebsregisters vom Juli 2006, das auf Stadtteilebene die Krebsinzidenz ermittelt und analysiert. Dabei hatte man für die Stadtteile Gröpelingen und Burglesum keine signifikant erhöhte Krebsinzidenz gefunden. (Bericht von 2007)

In dem Fortschreibungsbericht vom November 2009 stellte die Forscher dann erstmals fest, „in der Region um die Stahlwerke Bremen“ ergab sich im Diagnosezeitraum 2000-6 „für Männer eine um bis zu 12 Prozentpunkte höhere Inzidenz als im übrigen Stadtgebiet.“ Frauen wiesen hingegen keine Abweichungen gegenüber dem restlichen Stadtgebiet auf.

In der aktuellen Untersuchung, die noch die drei Folgejahre 2007, 2008 und 2009 einschließt, zeigt sich für die Region um die Stahlwerke Bremen bei Männern erneut eine erhöhte Krebsneuerkrankungsrate, die mit einem SIR von 1,12 gegenüber dem städtischen Durchschnitt ein weiterhin um 12 Prozent höheres Krebsrisiko ausweist. Frauen haben hingegen hier bei allen Krebserkrankungen mit einem SIR von 0,96 fast die gleiche Neuerkrankungshäufigkeit, die auch für Bremen insgesamt gilt.

Aufschlussreich ist der Vergleich mit Bremer Ortsteilen, die eine ähnliche Sozialstruktur besitzen. Hierzu wurden Mittelshuchting, Hohentor, Osterfeuerberg und Hulsberg ausgewählt. Trotz dieser Bereinigung um die Effekte eines angeblich unterschiedlichen Gesundheitsverhaltens findet man bei Männern eine erneut um „12 Prozentpunkte erhöhte Krebsinzidenz im Vergleich zum restlichen Stadtgebiet“.

Krebsneuerkrankungen je 100.000 Einwohner in den Zeiträumen 2001-4 und 2005-8 (mit DCO-Fällen)


Geschlecht

Stahlwerke-Region 2001-4
Stahlwerke-Region
2005-8
SIR
Sozialräumlich ähnliche
Vergleichsregion
Männer
681,0
750,7
1,12
647,5
Frauen
561,1
554,5
0,96
515,0
Männer und Frauen
619,5
650,1
1,04
580,6

2012, S. 5 und 2007,S. 5

Besonders deutliche Unterschiede auch gegenüber der sozialräumlich ähnlichen Vergleichregion zeigen sich bei Tumorarten, die mit Schwermetallexpositionen in Verbindung stehen, d.h. Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum, der Nasenhöhle und –nebenhöhle, des Larynx, der Bronchien und Lunge, des Magens, der Nieren und der Prostata. (2012, S. 6)

Bemerkenswert ist dabei, dass die Inzidenzen in diesem Fall nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen deutlich höher liegen. Da in Stahlwerken traditionell nur wenige Frauen in der Produktion arbeiten, stellt dieses Auswertungsergebnis die Vermutung in Frage, dass ausschließlich der Arbeitsplatz für das erhöhte Krebsrisiko in Burg-Gramke und Umgebung verantwortlich ist.

Krebsneuerkranken mit möglicher Schwermetallexposition
je 100.000 Einwohner im Zeitraum 2005-9

Geschlecht

Stahlwerke-Region
SIR
Sozialräumlich ähnliche Vergleichsregion
Männer
351,6
1,05
326,9
Frauen
102,3
1,09
81,2
Männer und Frauen
223,9
1,06
202,8
2012, S. 6

Bemerkenswert hoch sind bei dieser differenzierten Auswertung für einzelne Entitäten, dass die SIR-Werte für lymphatische Leukämie bei 1,9, für unbekannte Primärtumoren bei 1,7 und für Mund/Rachen bei 1,6 liegen. (S. 6)

Obwohl dieses Datum festgestellt wird und die immer unterstellten Einflüsse eines gebietstypischen Tabak- und Alkoholgenusses durch einen Vergleich mit einem ähnlichen Sozialraum ausgeglichen wurde, weisen die Autoren bei der Beurteilung einer „Gefährdung der Region durch eine Schwermetallexposition“ auf “die erhöhten Inzidenzraten für Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum bei Männern und für Frauen in der Lunge im Fokus“ hin und betonen nochmals im Hinblick auf die Risikofaktoren: „Bei Lungenkrebs ist dies in erster Linie das Rauchen und bei Tumoren im Mund-Rachen-Raum ist neben Tabakkonsum der Alkoholkonsum der wichtigste Auslöser.“

Bei diesem Insistieren scheinen die Gutachter vergessen zu haben, dass sie den Lungenkrebs nur bei Frauen aufgeführt haben, ihr erneuter Verweis damit praktisch ins Leere geht.

Bei dieser harten Faktenlagen räumen die vom Umweltsenator beauftragten Gutachter abschließend immerhin ein: „Ein möglicher synergistischer Effekt durch eine zusätzliche Schadstoffbelastung kann allerdings nicht ausgeschlossen werden.“

Man kann, wenn man nur die präsentierten Daten sprechen lässt,  auch für den Zeitraum 2005-9 folgern, dass sowohl durch die Arbeit im Stahlwerk als auch durch das Wohnen in seiner Nachbarschaft das Risiko für eine Krebserkrankung bei Männern und Frauen um ca. 10 % angestiegen ist. Und besonders erschreckend ist dabei, dass sich im Zeitablauf ein deutlicher Anstieg bei den Männern abzeichnet, der nicht allein auf eine alternde Bevölkerung zurückzuführen ist.

(Ergänzende Fragen vor allem zu weiteren deutschen Krebsstudien werden in dem Artikel
"Tot, aber statistisch gesund? Die Fragwürdigkeiten kleinräumiger Krebsstudien" angesprochen. Über die jüngste Bremer Studie zum Tanklager Frage informiert der Beitrag "Besorgniserregende Zufälle“ oder eine "Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie")




Quellen:
Eberle, Andrea und Luttmann, Sabine, Kleinräumige Analysen zur Krebsinzidenz. Region um die Stahlwerke Bremen. Region um die Bremer Wollkämmerei. Bremer Stadtteile, Bremen November 2012.
Giersiepen, Klaus und Eberle, Andrea, Kleinräumige Analyse der Krebsneuerkrankungen in einer ausgewählten Region (um die Bremer Wollkämmerei, BWK) im Vergleich zum übrigen Bremer Stadtgebiet, Bremen Februar 2004.
Giersiepen, Klaus und Eberle, Andrea, Vergleich der Region um die Stahlwerke Bremen mit dem übrigen Bremischen Stadtgebiet - eine Auswertung der Registerstelle des Bremer Krebsregisters, Bremen März 2007.
Knopf, H., Ellert, U. und Melchert, H.-U., Sozialschicht und Gesundheit, in: Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2 S169–S177.
Krebserkrankungen im Land Bremen 2000 – 2005. Schwerpunktthema: Soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz und –mortalität.7. Jahresbericht des BKR, Bremen 2009.
Krebserkrankungen im Land Bremen 2006 – 2007. Schwerpunktthema: Lungenkrebs und Pleuramesotheliome, 8. Jahresbericht des Bremer Krebsregisters, Bremen 2010.
Schulze, Alexander und Lampert, Thomas, Bundes-Gesundheitssurvey: Soziale Unterschiede im Rauchverhalten und in der Passivrauchbelastung in Deutschland (Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes), Berlin 2006.

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