Montag, 18. Februar 2013

BWK: Überblick



Die Bremer Woll-Kämmerei (BWK)


Gründung, Aufstieg und Siechtum eines weltumspannenden Wollkonzerns



Wollkämmereien am Rande Bremens

Historisch gesehen liegt es, wenn wir an Ereignisse aus dem alten Rom oder dem Mittelalter denken, noch gar nicht sehr lange zurück, und doch erscheint vieles, was sich vor vielleicht erst 100 Jahre ereignet hat, wie eine Geschichte aus einer anderen Welt. Dabei kann man die Reste dieses wahren Märchens tagtäglich sehen und sogar anfassen. Solche teilweise verblüffenden Eindrücke kann sogar ein ganz nüchterner Tatsachenbericht von der Geschichte der Bremer Wollkämmerei vermitteln, von ihrer einstigen Größe und ihrem langwierigen Siechtum.

Während in England die Erfindungen der Dampfmaschine, der mechanischen Spinnmaschine, der sogenannten Spinning Jenny im Jahr 1764, und zwei Jahrzehnte später des mechanischen Webstuhls (1784) mit der Industriellen Revolution eine neue Geschichtsepoche anbrechen ließen, dauerte es einige Zeit, bis diese Entwicklungen auch in Deutschland aufgegriffen wurden

Hier wurden zwar bereits 1784 mit der Textilfabrik Cromford in Ratingen die erste mechanische Baumwollspinnerei gegründet und um 1830 die ersten mechanischen Webstühle eingesetzt. Diese Fabriken nutzen jedoch kaum die Dampfkraft und blieben auf begrenzte regionale Märkte ausgerichtet.

Erst durch finanzwirtschaftliche Veränderungen kam es zu einem Umbruch, als sich durch die Gründung von Aktiengesellschaften das Kapital beschaffen ließ, das für eine betriebswirtschaftlich optimale Nutzung der technischen Innovationen nötig war. Das galt vor allem auch für die Herstellung von Bekleidung. Dabei kam der Mechanisierung des Spinnens eine ganz besondere Bedeutung zu, da das Spinnen, wie es bis dahin handwerklich ausgeführt wurde, sehr arbeitsintensiv ist. So wurde für die Arbeit eines Webers die von zehn Spinnern benötigt.

Die Bearbeitung der Schafwolle stellte dabei zunächst eine besondere technische Herausforderung dar; denn es sind vor dem Spinnen noch Bearbeitungsschritte erforderlich, um eine saubere Faser zu erhalten. So sind die Rohwolle bzw. der Wollvliese, wie sie bei der Schur gewonnen werden, so stark verschmutzt, dass der Anteil des reinen Wollhaares nur zwischen 50 % und 40% liegt. Durch die Wollwäsche müssen daher neben diversen Verunreinigungen auch der Wollschweiß, also die eingetrocknete  Hautausdünstung des Schafes, und das Wollfett entfernt werden, das als Lanolin u.a. in der kosmetischen Industrie verwendet wird.

Wegen dieser komplexen Anforderungen wurde erst erheblich Zeit nach den Spinn- und Webmaschinen in einem damaligen Zentrum der industriellen Wollverarbeitung, dem belgischen Verviers, das sich heute „Wallonische Hauptstadt des Wassers“ nennt, mit dem sogenannten Léviathan eine Waschmaschine entwickelt, mit der sich Rohwolle von allen Verunreinigungen befreien ließ, ohne dabei zu verfilzen.

Bekannt wurde diese vom Ingenieur Eugene Mélen um 1860 konstruierte und von der Firma J. D. Houget & D. Teston gebaute Maschine durch ihre Präsentation auf der Weltausstellung 1867 in Paris.

Diese Waschmaschine, die Rohwolle einweichen, entfetten, waschen, spülen und trocknen konnte, war nicht nur ein Multifunktionstalent, sondern imponierte auch durch ihre Größe; denn sie war über 12 m lang und knapp 2 m breit. Ihr Erfinder benannte sie daher nach dem biblischen Ungeheuer Leviathan, das gleichzeitig Krokodil, Drache, Schlange und Wal gewesen sein soll.

In seiner industriellen Eisenversion bestand der Leviathan aus drei Becken, in denen - angetrieben durch ein Wasserrad oder eine Dampfmaschine - Transportbänder, Lattentücher, Rührgabeln und Walzen die Rohwolle durch die Kammern beförderten und dabei die Waschfunktionen ausführten, wobei jeweils die Waschflüssigkeit durch Wasserdampf erhitzt wurde.



                             Leviathan in Verviers (Foto: N.  Drouguet)

Zusammen mit den bereits vorhandenen Plätt- und Kämmmaschinen waren damit die technologischen Voraussetzungen für eine industrielle Wollwasch- und -kämmereianlage vorhanden (Fiedler). Es fehlten nur noch das Kapital zum Kauf der teuren Maschinen und die Kompetenzen zur Organisation zur Beschaffung großer Mengen von Rohwolle und für den Absatz von Kammzug.

So kann es nicht überraschen, dass in Deutschland zwischen 1845 und 1883/4, wie die folgende Übersicht zeigt, für die Verarbeitung der Rohfasern Baumwolle, Flachs und Schafwolle große Kämmereien und Spinnereien entstanden.

In diesen revolutionären Jahren wurde jedoch nicht nur die Handarbeit durch Maschinen ersetzt. Ein weitere Änderung erfolgte bei den verwendeten Materialien, da die heimischen Produkte Flachs und Schafwolle teilweise durch die importierte Baumwolle verdrängt wurden. Aber auch bei der traditionellen Wolle gab es einen Wandel, da dank des maritimen Überseehandels Wolle vor allem aus Australien preiswerter und in größeren Mengen zur Verfügung stand als die der heimischen Schafe.

So war Deutschland bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein Wollexportland. Das änderte sich jedoch, als durch die Anwendung von Kunstdünger auch schlechtere Böden nicht mehr als Schafweiden genutzt werden mussten und die Schafzucht in Deutschland unrentabler wurde. Durch die sinkenden Produktionskosten stieg die Nachfrage nach Wollprodukten und damit der  Bedarf an Wolle, sodass die Schafzüchter in Australien ihre Herden vergrößern und die dortige Wollproduktion steigern konnten, da sich die Rohwolle trotz der langen Seereise unkompliziert nach Europa transportieren ließ. Daher wuchs die Zahl der in Australien gehaltenen Schafe von einer viertel Million im Jahr 1825 auf über 62 Millionen im Jahr 1880..

Damit veränderten sich auch die Anforderungen an die Standorte für die Verarbeitung der Rohwolle, denn durch den Import wurden die Hafenstädte günstige Standorte. Das galt in Deutschland vor allem für Bremen, da hier die Kaufleute schon früh mit dem Handel australischer Wolle Geld verdienten. 1872 wurde fast ein Viertel der gesamten deutschen Rohwolleinfuhren über 
diese Hansestadt abgewickelt und um die Jahrhundertwende soll es hier rund 200 Wollimportfirmen gegeben haben.

Für den Mikrostandort waren zwei zusätzliche Überlegungen von Bedeutung.
So trat Bremen wie auch die beiden anderen Hansestädte Hamburg und Lübeck erst 1888 dem Zollverein bei. Das war in den Nachbarstaaten Hannover und Oldenburg anders, die bereits 1854 zum Zollverein gehörten, sodass von hier aus Waren zollfrei in die anderen Staaten des Zollvereins geliefert werden konnten.

Für die finanzkräftigen Bremer Kaufleute sprachen jedoch nicht nur wirtschaftliche Gründe gegen eine großen Fabrik direkt in Bremen. Auch wollte man die erforderlichen Arbeitskräfte, die teilweise in Polen und dem übrigen Osteuropa angeworben werden mussten, nicht unbedingt unmittelbar vor der eigenen Haustür haben, wo sie dann möglicherweise nicht einmal eine der herrschenden bürgerlichen Parteien, sondern die Sozis wählten.

Man suchte daher im Bremer Umland und fand gleich zwei geeignete Standorte: Blumenthal und Delmenhorst. Die Bremer Wollkämmerei in Blumenthal wurde am 13. April 1883 als Aktiengesellschaft gegründet, die in Delmenhorst folgte ein Jahr später. 


Die Kapital der Blumenthaler Gründungsaktionäre in Höhe von 2,25 Millionen Mark stammte aus bekannten Bremer Familien. Darunter waren J. Hachez aus der Kaufmannsfamilie Hachez und C. Kulenkampff, dessen Familie verwandtschaftlich entfernt mit Ludwig Knoop verbunden war, also dem Bremer Großkaufmann, der durch seine Textilunternehmen zu den erfolgreichsten Unternehmern des 19. Jahrhunderts zählt und in jungen Jahren die maschinelle Baumwoll-Spinnerei und –Weberei sozusagen an ihrer Wiege in Manchester kennengelernt hatte.



       Handschriftliche Gründraktie der BWK und Aktie aus der Kapitalerhöhung von 1899 mit den                Unterschriften von Ullrich und Zschörner (Quelle: Sir Charles (Förderverein))


Die Gründer bestimmten Ferdinand Ullrich zum kaufmännischen und Paul Zschörner zum technischen Direktor, der als Standortes für das Werk ein 500.000 Quadratmeter großes Areal zwischen der Aue und der Weser in Blumenthal wählte, das damals als Gemeinde der preußischen Provinz Hannover bereits zum Zollverein gehörte und am 1. April 1885 Kreisstadt wurde.

Die Größe des Fabrikgeländes kann man sich gut verdeutliche, wenn man sie mit der Vatikanstadt, also dem kleinsten Staat der Welt vergleicht. Hier ist das Kämmerei-Reich etwas größer, denn die Vatikanstadt bringt es nur auf eine Fläche von 0,44 qkm.

Dieser Standort hat sich dank seiner Größe, günstigen Verkehrsanbindungen vor allem durch die Weser und ausreichender, guter Wasserressourcen, die es neben der Weser auch in eigenen Tiefbrunnen gab, bis Ende 2008 als tragfähig erwiesen.

Gut ein Jahr nach der juristischen Gründung konnte bereits am Herbst 1884 die Produktion mit 150 Arbeitern beginnen.

Rasch erwies sich die BWK als weitsichtige und rentable Investition; denn schon 1896 wurden 2.000 Arbeiter beschäftigt, darunter viele aus Polen, Schlesien, Ost- und Westpreußen, Sachsen und dem Rheinland. Bis 1930 stieg die Arbeitnehmerzahl sogar auf 3.700.


                                                BWK (Quelle: Museumsverein)




Genauer betrachtet war die BWK eine Wollwäscherei und –kämmerei, die nach der Schafhaltung und –schur die erste industrielle Stufe in der Wollverarbeitung darstellt. Dabei wird die geschorene Rohwolle zunächst gewaschen, was mit einem hohen Wasserbedarf verbunden ist, der in Blumenthal durch eigene Tiefbrunnen gedeckt wurde. Dieses Waschwasser musste nach der Reinigung der Wolle von Urin, Wollfett und vielfältigen Verunreinigungen auch durch Pestizide sowie den verwendeten Waschmitteln geklärt werden, bevor es in die Weser geleitet werden konnte, was eine entsprechende Kläranlage erforderte.

In einem zweiten Arbeitsgang wird die gewaschene Wolle gekämmt, d.h. man entfernt durch spezielle Kämme Einstreu und kurze Fasernester, sodass man gestreckte und absolute parallele Fasern erhält, die man als Kammzug bezeichnet und die den anschließenden Spinnvorgang erheblich erleichtern.

Während das Schwesterunternehmen in Delmenhorst auch diese Garnherstellung leistete, hat die BWK das Waschen und Kämmen als Auftragsarbeit für Spinnereien erledigt, so beispielsweise für die Augsburger Kammgarnspinnerei. Das Blumenthaler Unternehmen war also ein sehr spezialisiertes Unternehmen, das innerhalb des Arbeitsprozesses, der Rohwolle in Wollbekleidung verwandelt, nur das Waschen und Kämmen erledigt hat, zwei Tätigkeiten, die einerseits recht arbeitsintensiv waren, andererseits die Umwelt belastet haben, da man viel Wasser benötigte, das anschließend vom Dreck der Schafe und der australischen Weiden zu befreien war.

Das junge Führungsteam der BWK aus dem Direktor Ferdinand Ullrich, dem Technik-Chef Paul Zschörner, der sich zuvor im Ausland mit den damals neuesten Stand der Wollwasch- und –kämmereimaschinen vertraut gemacht hatte, und Richard Jung, der später das Ruder in Blumenthal übernehmen sollte, konnten sehr erfolgreich starten. Das belegen bereits die ersten Bilanzen; denn nur zwei Jahre nach Produktionsbeginn konnten 16 Prozent Dividende an die die Aktionäre 16 Prozent Dividende auf ihr eingezahltes Kapital ausgeschüttet werden. In den Jahren 1889 und 1898 stieg der Wert dann sogar auf 25 Prozent. (Fiedler)

                               Grabmal der Fam. Ullrich (Quelle: wikipedia)


Als Ferdinand Ullrich 1915 starb, hatte die BWK 1350 Mitarbeiter. Sein Nachfolger wurde Richard Jung, der bereits 1888 als damals 23jähriger nach seiner Ausbildung in der Kammgarnspinnerei Wernshausen seine Karriere in Blumenthal begonnen hatte. Unter seiner Leitung erlebte das Unternehmen trotz des 1. Weltkrieges, der unruhigen Zeiten nach Kriegsende und der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise eine insgesamt äußerst positive Entwicklung, denn die Zahl der Mitarbeiter verdreifachte sich beinahe auf 4.000.

Auch er unterstützte soziale Einrichtungen wie den gemeinnützigen Wohnungsbau sowie Kranken-, Renten- und Unterstützungseinrichtungen. Da Richard Jung in der Öffentlichkeit als anerkannter Repräsentant der BWK galt, wählte man ihn zum Vorsitzender des Branchenverbandes „Convention deutscher Wollkämmereien“ und zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Wesermünde. Ein Jahr vor seinem Tod wurde er 1935 Ehrenbürger Blumenthals. (Prüser)

Als während seiner Amtszeit 1916 die Firma Wätjen & Co in Konkurs ging, erwarb die BWK eine Hälfte des Blumenthaler Parks, der damals noch größer war als der heutige Wältjens Park und bis zur Weser reichte, während die andere Hälfte vom Bremer Vulkan gekauft wurde. Auf dieser Neuerwerbung baute die BKW später am Weserufer ihre Kläranlage.

In den 1930er Jahren ging die BWK eine Reihe von Beteiligungen ein, so wurde 1932 aus der Konkursmasse der Nordwolle, deren Zusammenbruch mit einer zeitweiligen Schließung der Banken als markanter Anfangspunkt der Weltwirtschaftskrise in Deutschland gilt, die Hamburger Wollkämmerei im Stadtteil Wilhelmsburg, die später als Wilhelmsburger Wollkämmerei wieder die Produktion aufnahm, 1936 die Thüringische Zellwolle in Schwarza und 1939 die Wolle und Tierhaare AG (Wotirag) in  Berlin.



Deutsche Kämmereien und Spinnereien der Gründerzeit


Unternehmen
Gründungsjahr
Standort
Material
Stilllegung
Max. Beschäftigte
1845
Augsburg
Wolle
2002
2.400
1883
Blumenthal
Wolle
2009
4.950
1868/72
Hannover
Wolle
1972
2.000
1884
Leipzig
Baumwolle
1992
4.000
1884
Delmenhorst
Wolle
1981
4.500
1854-7
Bielefeld
Flachs
1974
1.700
1837
Augsburg
Baumwolle
1988
4.000

Wie die Übersicht zeigt, steht die BWK in einer Reihe mit einigen ähnlich großen Kämmereien und Spinnereien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland als Aktiengesellschaften gegründet wurden und zunächst sehr erfolgreich waren, wie die hohen Beschäftigtenzahlen anzeigen.

Daraus lässt sich auch bereits erkennen, dass die Mechanisierung hier die menschliche Arbeitskraft nur in begrenztem Maße verdrängt hatte. Zumindest von Automation konnte noch keine Rede sein. Typisch war vielmehr ein Fabriksystem, das nach militärischen Vorbildern organisiert war und hierarchische Unterordnung, aber kaum eigenverantwortliches Handeln kannte.

Preiswerte Arbeitskraft war jedenfalls neben dem Standort und der Organisation eines großen Kapitals ein ganz wichtiger Wettbewerbsfaktor. Deswegen wurden zahlreiche „Gastarbeiter“ außerhalb der Region angeworben, für die dann spezielle Wohnviertel entstanden. Dafür fand die Bevölkerung schnell spezielle Namen, die die nicht gerade luxuriösen Wohnverhältnissen kennzeichneten. So waren fast sprichwörtlich „Delmenhorster Verhältnisse“ berüchtigt und in Döhren bei Hannover nannte man das Wohnquartier der dortigen Wollwäscherei und –kämmerei „Döhrener Jammer“.



Blumenthal: eine BWK-Stadt



Die Gründung der BKW war für Blumenthal ähnlich bedeutsam wie die von Volkswagen für Wolfsburg oder die von Bayer für Leverkusen. Zwar hatte Blumenthal mit seiner Burg schon eine eigene Geschichte, die urkundlich bis 1305 zurückreicht, aber die Gründung der BWK machte erst aus einem ländlichen Bauern- und Fischerdorf eine kleine Industriestadt.

Zuvor zählte der Ort im Jahr 1880 1.330 Einwohner, für die es gewerbliche Arbeitsplätze nur in einer Gerberei und einer Werft gab. Als Kreisort verfügte man als zentralörtliche Einrichtungen allerdings über eine reformierte Kirche und ein Amtsgericht. (Meyer)

Daher konnte man die nötigen Arbeitskräfte auch nicht aus der heimischen Fischerei und Landwirtschaft rekrutieren, sondern war auf eine systematische Anwerbung ausländischer Mitarbeiter angewiesen, die man jedoch von Anfang an nicht als kurzfristige Gastarbeiter betrachtete. Vielmehr baute die BKW wie auch die anderen großen Textilunternehmen in der damaligen Zeit ganze Straßenzüge mit Wohnhäusern. So besaß der Konzern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges 56.000 qm bebaute Fläche mit Häusern für die eigene Belegschaft. „Migration“ und „Integration“ waren also schon damals, wenn auch nicht als Begriffe, gelebter Alltag. 


Der Blumenthaler Heimatforscher Ulf Fiedler weist für diese Zeit des industriellen Aufbruchs auf einen besonderen Glücksfall für die weitere Entwicklung hin, die er in einem „jungen Team“ aus den Herren Ullrich und Jung von der BWK sowie Berthold auf der Verwaltungsseite sieht. So zog 1884 der erst 29jährige Paul Berthold als erster preußischer Landrat ins Haus Blomendal, der weitgehend in Kooperation mit dem BWK-Vorstand die Kommunalpolitik der kommenden Jahre prägte.

Der Namen des Landrats, der vielen seiner Mitbürger im kaiserlichen Deutschland als „König von Blumenthal“ im Gedächtnis blieb, ist vor allem mit der Wohnungsbaugenossenschaft Spar- und Bauverein Blumenthal verbunden, die heute in der größten Wohnungsgesellschaft des Bremer Nordens, der Gewosie, fortbesteht.


Allerdings gab es nicht nur Bewunderer des sichtbaren Aufschwungs im Ort. So erzählt die Reformpädagogin und Schriftstellerin Tami Oelfken in ihrem Roman „Maddo Clüver“ von den damaligen Umweltbelastungen, so von Fischen, die „starben und an Land trieben“ sowie „fünf unmäßig hohen Schornsteinen“, die „Tag und Nacht lange Schwaden vom Rauch in die Luft sandten.

Ein Thema sind auch die zugewanderten Polen, die nach Hunderten zählten und das „Dorf von Grund auf veränderten.“ Die unverheirateten Polen wohnten damals nach Geschlechtern getrennt in „Kasernen“. Aber es gab, wie es in einem Roman nicht anders zu erwarten ist, auch Liebesgeschichten zwischen den Ethnien. So schildert Tami Olefken einen frisch gekürten einheimischen Schützenkönig, der unerschrocken zur Gruppe der polnischen Mädchen ging, vor einer Marinka niederkniete und dieser jungen polnischen Dame den Königskranz aufs Haar setzte.

Die Wollkämmerei sorgte jedoch nicht nur für einen deutlichen Einwohnerzuwachs. Sie war auch beim Bau der 10,4 km langen Strecke der Farge-Vegesacker-Eisenbahn (FVE) wichtigster Kapitalgeber und später ihr Kunde. Dabei trat allerdings ein gravierendes Problem auf, denn die Bahn wurde zwar Ende 1888 eröffnet, aber das Anschlussgleis zwischen dem Werksgelände und dem Bahnhof Blumenthal durfte zunächst nicht gelegt werden, da es über eine Grabstelle des alten Friedhofs geführt hätte, die der Inhaber nicht aufgeben wollte. Daher mussten bis zum Ende der Liegefrist im Jahr 1910 die mit Wolle beladenen Güterwagen mit einem Stahlschlitten, der von Pferden gezogen wurde, zwischen einer Drehscheibe der Bahnlinie und dem Werksgelände hin und her fahren.

Auch sind der Bau von Schulen, Kirchen und des Kreiskrankenhauses sowie die Straßenbeleuchtung und die allgemeine Stromversorgung bis 1904 auf den Einfluss bzw. die Förderung der BWK zurückzuführen. So wurde im Dezember 1897 ein Stromliefervertrag über zehn Jahre abgeschlossen.


Parallel zur Entwicklung der BWK verdoppelte sich im damaligen Kreis Blumenthal, der vor allem den heutigen Stadtteil Blumenthal und die niedersächsische Gemeinde Schwanewede umfasste, zwischen 1890 und 1925 fast die Einwohnerzahl von 22.500 auf 43.000. 1930 waren davon 3.700 direkt bei der BWK beschäftigt.

Die große Bedeutung dieses Unternehmens für die Stadt wird deutlich, wenn man an die damaligen Familienstrukturen denkt. Üblicherweise waren in den Textilbetrieben junge Frauen und Männer beschäftigt, die in jener Zeit noch großen Familien allein zu ernähren hatten. Man kann daher grob gerechnet annehmen, dass ein Beschäftigter unmittelbar durchschnittlich zwei bis drei Familienangehörige unterhalten musste. Für diese Einwohner war dann vermutlich noch mindestens eine ähnlich große Zahl von Dienstleistern wie Handwerkern, Ärzten, Lehrern usw. mit abhängigen Familienangehörigen tätig, sodass die Verarbeitung der australischen Rohwolle im weiteren Sinne etwa der Hälfte der Bevölkerung des Kreises Arbeit und Brot gab.

Für diese Einwohner und dank ihrer Steuergelder wurden in Blumenthal zwischen 1925 und 1927 die Abwasserkanalisation, das Wasserwerks und der 50 Meter hohe Wasserturm gebaut, der seinerzeit den Ort mit 300.000 Litern Wasser versorgt hat.


                                     Wasserturm (Quelle: wikipedia)

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als auf Teilen des BWK-Geländes Zwangsarbeiter Waffen produzieren mussten, wuchs die BWK zu ungeahnter Größe, da sie in den 1950er Jahren bis zu 5.000 Mitarbeiter in Blumenthal beschäftigte, was man auch deutlich mit Stadtbild sehen konnte. So entwickelte sich die Mühlenstraße zu einer sehr belebten Einkaufsstraße mit vielen Gaststätten, ja, sie war, wie sich ältere Anwohner noch erinnern können, „schwarz vor Menschen“, „die morgens auf dem Weg zur Arbeit in der Kämmerei waren. Oder nachmittags von daher kamen, dann hier ihre Feierabendeinkäufe erledigten oder schon mal zum ersten Bier nach der Schicht einkehrten.“ (Scheil)



                                           (Quelle:unbekannt)


Der Niedergang der deutschen Textilindustrie



Der Siegeszug der neuen Chemiefasern, vor allem aber auch wirtschaftliche Entwicklungen führten dann jedoch zu einschneidenden Änderungen. Die deutschen Lohnkosten stiegen, die DM wurde aufgewertet und Textil- und Bekleidungseinfuhren aus dem Ausland liberalisiert. Dadurch verschlechterte sich seit Anfang der 1960er Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der Kämmerei gegenüber der ausländischen Konkurrenz, die ihre Produkte preiswerter Anbieten konnte.

Die BWK versuchte daher durch Rationalisierungsmaßnahmen ihre Position zu verbessern, musste aber dennoch wegen sinkender Gewinne ihre Dividende kürzen. So konnten für 1961 nur noch 8% ausgeschüttet werden, nachdem es 1960 noch 11 % gewesen waren. Auch begann jetzt ein ständiger Prozess zur weiteren Automation der Produktion, wodurch die Zahl der Beschäftigten von fast 4000 (1962) auf etwa 1000 (1975) sank. Davon war ab 1968 auch die Chemiefaserverarbeitung betroffen, die man bereits in den 1930er Jahren aufgenommene hatte.

Die veränderte Markteinschätzung lässt sich an der Entwicklung der Hamburger BWK-Beteiligung ablesen. Dort war die Hamburger Wollkämmerei AG durch die Flutkatastrophe am 16. Februar 1962 stark in Mitleidenschaft gezogen und wurde wegen Lage der deutschen Textilindustrie nicht wieder aufgebaut werden.

Diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahren fort und wurde in den 1980er Jahren durch die wirtschaftliche Öffnung vor allem Chinas noch deutlich verstärkt, da sich die Herstellung von Bekleidung zu einem sehr großen Anteil von Westeuropa nach Süd- und Ostasien verlagert hat, sodass niemand mehr auf den Gedanken kommt, die australische Wolle zunächst nach Europa waschen und kämmen zu lassen, um sie anschließend in Asien zu spinnen, zu weben und zu Bekleidungsstücken zuzuschneiden und zu nähen.


Neben der ständigen Rationalisierung vollzog die BWK als Reaktion auf die Strukturveränderungen im internationalen Handel mit Wolle und Wollprodukten seit den 1980er Jahren die Wende von der früher vorherrschenden Produktorientierung zur nunmehr entscheidenden Marktorientierung. Aus der ehemaligen Lohnkämmerei, einem Produzenten für fremde Rechnung, wurde ein Anbieter von Kammzügen aus Wolle, Chemiefasern und Mischungen, der jedoch weiterhin profitabel arbeitete.

So hieß es noch 1988 in einer Publikation zu den Bremischen Häfen über die BWK: "Die tausend heutigen Mitarbeiter bearbeiten pro Tag 70 Prozent mehr Wolle als die 5000 Beschäftigten vor 30 Jahren". Es ist im Drei-Schichten-Betrieb jeden Tag die Wolle von 60.000 Schafen. Wolle nimmt immer noch 60 Prozent der Produktionsleistung ein, die Chemiefasererzeugung macht die restlichen 40 Prozent aus.“

Aber auch die größten Rationalisierungsanstrengungen konnten nicht vor den Preisschwankungen des Weltmarktes und speziell der asiatischen Wirtschaftskrise Ende des 20sten Jahrhunderts  schützen, die die „Wolltextilwirtschaft in die tiefste Krise seit 25 Jahren“ stürzte, wie die BWK-Gruppe in der Erläuterung ihrer Bilanz für 1998 feststellte. Das führte damals zu einem tiefroten Konzernergebnis von -21,8 Mio. DM bei einem gezeichneten Kapital von 37,3 Mio. DM.

Mit diesen Problemen musste sich die BWK jedoch keinesfalls allein herumschlagen, denn sie waren nicht hausgemacht. Wie die Übersicht zeigt, konnten sich viele große deutsche Textilunternehmen diesen Veränderungen des Marktes nicht anpassen, sondern mussten Insolvenz anmelden. Unter den aufgeführten Aktiengesellschaften begann diese Entwicklung bei der Döhrener Wolle und der Ravensberger Spinnerei bereits um 1970, während 1980 der Nachfolgebetriebe der Nordwolle in Delmenhorst, 1988 die Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA), dann im Zuge der Wende 1992 die Leipziger Baumwollspinnerei und schließlich 2002 die Augsburger Kammgarnspinnerei folgten.

In allen diesen Fällen wurden die Grundstücke, da sie als frühe Industriebauten, in der Nähe der Stadtzentren lagen, rasch neu genutzt. So kaufte etwa in Bielefeld die Stadt das Grundstück samt den Gebäuden aus der Konkursmasse und verwandeltes dieses Industriedenkmal nach einigen Querelen in einen attraktiven Sitz für ihre Volkshochschule und ihr historisches Museums, die von einem Park umgeben sind. 


                                Ravensberger Spinnerei (Quelle: wikipedia)

In Döhren errichtete man auf dem Werksgelände eine Neubausiedlung und die sanierten Arbeiterhäuser stehen inzwischen unter Denkmalschutz. 


Auch für das Areal der Delmenhorster Parallelgründung zur BWK hat man inzwischen eine vielseitige Verwendung gefunden, zu der auch das Museum für IndustrieKultur zählt. Eine ganz besondere Nutzung gelang in Leipzig, wo heute in den Gebäuden der Baumwollspinnerei die Ateliers von Malern und Galerien vor allem der Kunstrichtung „Neuen Leipziger Schule“, die durch Neo Rauch weltbekannt ist, ein angemessenes Domizil gefunden haben.


In Augsburg schließlich, wo u.a. die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS) und die Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA) produzierten, setzt sich eine Bürgeraktion Textilviertel e.V. „für ein modernes lebenswertes Stadtquartier unter Berücksichtigung der historisch und traditionell gewachsenen Besonderheiten des Textilviertels ein.“ Hier kam es bisher zur einer Mischung aus Abrissen und Sanierungen, die zu einer vielfältigen Nutzung durch Kunst- und Geschichtsmuseen, aber auch Wohnungen in diesem „Kunstpark“ geführt haben.


Ein Schachzug gegen die erodierende Wettbewerbsposition Blumenthals



1993 startete die BWK einen Versuch, um eine Antwort auf die ständigen Umsatzverluste zu geben, die unabhängig von den heftigen Schwankungen des Wollmarktes wegen der notwendigen Rationalisierungsinvestitionen und Sozialplankosten zu jährlichen Verlusten führten, die das Eigenkapital schmelzen ließen. Da diese Situation kein neues Kapital anlocken konnte, stellten man die Weichen für eine neue BWK, die sich nicht mehr auf die Kämmerei in Blumenthal beschränken wollte, sondern den Wollhandel als zweites Standbein erheblich ausbaute und einen Produktionsstandort außerhalb Europa suchte.

Wirtschaftliche Entwicklung des BWK-Konzerns  1993 – 1999 (in Mio. DM)

Jahr
Umsatz
Mitarbeiter
Eigenkapital
Verbindlichkeiten
Konzernjahresüberschuss
1993
509,3
1160
88,6
218,8
-10,80
1994
880,8
1066
109,6
302,6
7,6
1995
833,2
972
89,3
284,0
-16,70
1996
766,7
881
85,6
274,1
-6,4
1997
773,2
877
152,2
271,1
12,70
1998
652,3
788
124,3
283,2
-21,80
1999
531,3
600
123,8
224,7
-11,7
(Quellen: aktiencheck.de und wallstreet-online.de)


So wurden in diesem Jahr die Wollhandelsfirmen Neues Wollkontor in Essen, Booth, Hill & New in Sydney und J.S. Brooksbank im neuseeländischen Wellington für 20 Mio. DM von der Metro International übernommen. Damit sah sich die BWK als „globaler Anbieter“ von Rohwolle, gewaschener Wolle und Kammzug und erwartete damals ein stärkeres Engagement dieses Handelskonzerns auch als zuverlässigen Aktionärs. So erklärte der BWK-Chef: "Es ist immer gut, Anteilseigner zu haben, die nicht von jedem Wind umgeweht werden".

Diese Expansion galt jedoch nur für den Konzern insgesamt, hingegen nicht für die Kämmerei in Blumenthal, denn hier trat im April 1994 ein Haustarif in Kraft. Darin hat die Belegschaft eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 40 (37,5) Wochenstunden ohne Mehrentgelt sowie eine Kürzung des Jahresurlaubs um 3 Tage und der Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) auf 60% zugestimmt. Im Gegenzug garantierte die BWK 800 Arbeitsplätze und sicherte eine 20%ige Beteiligung der Mitarbeiter am Jahresüberschuss zu. Diese „Arbeitsplatzgarantie“ bedeutete allerdings einen möglichen Abbau von etwa weiteren 200 Arbeitsplätzen.


Ein teures Expansionsabenteuer


Diese kritischen Jahre konnte die BKW durchstehen, da sie nicht nur ihre Wäscherei und Kämmerei in Blumenthal betrieb, die immer weniger konkurrenzfähig wurde, sondern auch im profitablen Wollhandel tätig war, also Rohwolle in Australien einkaufte und die in Blumenthal gewaschene und gekämmte Wolle an Spinnereien vor allem in Deutschland und Europa verkaufte.

Der BWK-Konzern reagierte auf die Verlagerung der Spinnerei- und vor allem der Bekleidungsherstellung von Europa nach Asien neben dem Ausbau der Handelsaktivitäten noch durch eine weitere Strategie: die Expansion der Kämmereiaktivitäten ins Ausland. So beschloss man 1992 den Sprung nach Australien, dem wichtigsten Erzeugerland von Wolle. Dort baute die BWK in der Nähe von Geelong eine eigene Kämmerei, um von hier aus den asiatischen Markt besser beliefern zu können. Die Kapazität des Werkes wurde zunächst auf 7500 t Wollkammzug und Kämmling pro Jahr ausgelegt und sollte bei einer  Vollauslastung eine Kapazität von 15000 t pro Jahr erreichen. Dann hätten die Kapazität des Konzerns in Geelong rund 25% betragen, während die restlichen 75% nach wie vor am Stammsitz Bremen gelegen hätten.

Obwohl diese Entscheidung angesichts der Verlagerung der Wollhandelsströme gut nachvollziehbar war, hätte diese Entscheidung ein Jahrzehnt später beinahe zum Aus für die BWK geführt; denn der Vorstand der BWK musste seinen Aktionären für das Geschäftsjahr 2003 von einem herben Verlust in Höhe von 36,3 Mio. € berichten. Der Grund war vor allem eine Abschreibung in Höhe von 17,1 Mio. €, da die Kämmerei Geelong Wool Combing Ltd. (GWC) in Geelong geschlossen werden musste. Als Grund nannte man langwierige Auseinandersetzungen mit der zuständigen australischen Gewerkschaft über flexiblere Arbeitszeiten und Gehaltsstrukturen genannt, und das vor dem Hintergrund eines dramatischen Konsumrückgang auf dem Welt-Textilmarkt, der wegen der schwache Nachfrage nach Wollkammzügen zu Überkapazitäten geführt hatte. Diese Absatzprobleme hatte die SARS-Krise Anfang 2003 noch verstärkt, die „den asiatischen Textilmarkt über mehrere Monate nahezu völlig blockiert“ hat.

Vor diesem Hintergrund musste im Geschäftsjahr 2003 die erst zehn Jahre alte Kämmerei in Geelong unter Inkaufnahme erheblicher Verluste geschlossen werden. Die Errichtung der Kämmerei in Geelong hat die Bremer Woll-Kämmerei in der Vergangenheit rund 50 Mio. EUR gekostet, die Abschreibungen infolge der Schließung beliefen sich allein auf 16 Mio. € im Geschäftsjahr 2003 haben noch zu weiteren erheblichen Verlusten im folgenden Jahr geführt. Im Sommer 2004 wurde auch die von Elders im Jahr 2000 übernommene Kämmerei Austop in Parkes geschlossen, so dass die BWK mit ihren Kämmereiaktivitäten auf dem fünfe Kontinent völlig gescheitert ist (HV 2005).

Heute erinnert in Geelong das National Wool Museum an die australische Schafzucht und die Wollindustrie, die die BWK hier nach dem Blumenthaler
Vorbild langfristig aufbauen wollte.

Nach den beiden Kämmereien in Australien wurde im Februar 2002 „im Zuge weiterer Umstrukturierungen des Konzerns zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eine moderne türkische Kämmerei erworben“, wie die BWK in einer Ad-hoc-Mitteilung meldete. Dieses als „strategische Akquisition“ bezeichnete Unternehmen in Istanbul firmierte unter BWK Eastern Wool Industrial and Trading Joint Stock Corporation und nahm im ersten Quartal 2003 die Produktion auf.

Im Dezember 2005 konnte dann die BWK von einem weitren Erfolg bei ihren internationalen Bemühungen berichten, um „die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns ständig zu verbessern.“ So schloss die noch bestehende australische Kämmerei mit der chinesischen Longkou Kaisheng Textile Company Ltd., die zum Nanshan-Mischkonzern gehört, „einen Joint-Venture-Vertrag ab, um dem Konzern den Zugang zum chinesischen Markt zu öffnen.“ Dort wurden die bestehende kleine Wollkämmerei durch die Maschinen der geschlossenen Kämmerei in Geelong erweitert.

Für die BWK ergab sich draus, wie es in der Unternehmensmeldung heißt, die Gelegenheit einer wirtschaftlichen Weiterverwendung der Geelong Wool Combing-Maschinen, ohne eine Investition in Land und Gebäude tätigen zu müssen.“ Dieses Joint Venture, über dessen Eigentumsverhältnisse nicht publiziert wurde, sollte im 1 Quartal 2007 den Betrieb aufnehmen.
Heute sieht sich dieses chinesische Unternehmen in Longkou als ein Konzern, der die gesamte industrielle Kette von der Textilherstellung bis zur Fertigung von Bekleidung abdeckt mit den Stufen der Beschaffung, dem Kämmen, dem Spinnen und dem Weben von Wolle sowie dem Nähen bis hin zur Entwicklung von Handelsmarken.


Die Brewa-Strategie


Das Management entwickelte neben den üblichen Rationalisierungsmaßnahmen durch eine verstärkte Automation noch eine ganz spezielle Strategie zur Kostensenkung, die in einem Land mit hohen Umweltstandards überraschen muss. Da die chinesischen Lohnkosten, wie auf der Hauptversammlung im Jahre 2002 berichtet wurde, nicht einmal 10 Prozent von denen in Blumenthal betrugen, wollte man neben einer ständigen Steigerung der Produktivität vor allem die Kosten für die Energie und die Abwasserentsorgung senken. Dabei waren die Ziele sehr hoch gesteckt; denn die Aufwendungen für die Klärung des Waschwassers sollten „künftig gegen Null tendieren“ und bei der Strom- und Wärmeerzeugung erwartete man Zuschüsse für die Nutzung regenerativer Energien.

Auf diese Weise wollte man bei der Bearbeitung von Rohwolle Kostenführer in Europa werden. So sollte es möglich werden, für ein Kilogramm Rohwolle nicht mehr 1 €, sondern nur noch 0,80 € auszugeben. Damit hätten die Kosten allerdings immer noch deutlich über den 0,50 € gelegen, die man China benötigte.  

Um dieses ehrgeizige Ziele zu erreichen, wurden Teile der BWK ausgegliedert und in die brewa überführt. (vgl. „Innovative Sondermüllentsorgung“)



Der Restrukturierungskampf der BWK: Grundstücke gegen Arbeitsplätze



Aber diese Maßnahmen brachten nicht die gewünschten Ergebnisse, zumal sie vermutlich zu zaghaft und zunächst am falschen Ort erfolgten. So befand sich die BWK zur Jahrtausendwende in einer existentiellen Krise, wie der dramatische Kurssturz belegt, da der Börsenpreis der Aktie innerhalb weniger Jahre nicht nur um „wenige“ zig Prozente absackte, sondern aus einem soliden Anlagewert mit Kursen bei 200 € einen insolvenzbedrohten Pennystock von Kurse um die 2 € machte. Der Wert des Unternehmens wurde als an der Börse auf nur noch ein Zehntel des vorher stabilen Marktwertes reduziert.


                            Kursentwicklung 1992-2007 (Quelle: aktiencheck)


Die ersten drastischen Verluste konnte man noch durch die Verkäufe der nicht betriebsnotwendigen Grundstücken "Müllerloch", wo inzwischen das Blumenthal-Center entstanden ist, und "Wätjens Garten abdecken, die im Dezember 1999 beurkundet und im Ergebnis des Jahres 2000 ausgewiesen wurden. Dabei blieb sogar noch Liquidität übrig, die für Optimismus sorgte.



Im Mai 2001 präsentierte sich nach dem Abschluss dieser Maßnahmen daher wieder ein zuversichtliches Management, das ein neues Investitionsprogramm für den Blumenthaler Standort bis zum Jahr 2003 vorlegte. 50 Mio. DM wollte damals die BWK „in eine Modernisierung ihres Standortes in Blumenthal investieren und so auch insgesamt den geschwächten Wirtschaftsstandort Bremen-Nord nach der Vulkankrise stärken“. Dabei wollte man die benötigte Grundstücksfläche auf eine Drittel und die Belegschaft von 320 auf 160 Mitarbeiter auf die Hälfte reduzieren. (Laubach)


Der Vorstandsvorsitzenden war sogar mit einem ausgewiesenen kleinen Gewinn von 2,6 Mio. DM nach einem Minus von 14,4 Mio. DM im Vorjahr so positiv gestimmt, dass er „darüber nachdachte“, den Aktionären eine Dividende auszuzahlen, "wenn auch die Bilanz 2001 einen Gewinn ausweisen wird." Als Gründe für die Ertragswende wurden die hohe Nutzung der Anlagen, eine Verbesserung der Marktbedingungen und Kostenreduzierungen genannt.  


Nach kurzer Zeit musste dieser Ausblick jedoch wieder revidiert haben, als die BWK Mittel August 2002 meldete: „Die Wollverarbeitungsindustrie erlebt zur Zeit die schwierigsten Bedingungen der jüngsten Vergangenheit. Ein Umsatzrückgang bei den amerikanischen und bei den meisten europäischen Textileinzelhändlern, gepaart mit einem deutlich höheren Rohwollpreis, führte zu diesen unerfreulichen Handelsbedingungen. Unsere Kunden konnten diese Preiserhöhungen nicht weitergeben, als Folge dessen reduzierten sie ihre Aufträge. Als Reaktion auf die gesunkene Nachfrage haben wir unsere europäische Kapazität im Rahmen des Projektes 2004 reduziert.“


Und wieder mussten die Löcher in der Bilanz durch Grundstücksverkäufe gestopft werden. So einigten sich die BWK und die Stadt Bremen drauf, für 13,5 Mio. €  ein 22-Hektar-Grundstück  an das Land Bremen zu verkaufen. Dazu sicherte „im Gegenzug“ die BKW den „Erhalt von 230 Arbeitsplätzen zu“. Dieser Vertrag wurde mit Wirkung zum 23. Dezember 2002 mit der Bremer Investitionsgesellschaft mbH (BIG) abgeschlossen. Danach gab sich der Vorstandsvorsitzende erneut optimistisch: "Diese Investitionen sichern die Wettbewerbsfähigkeit der Bremer Kämmerei gegenüber den asiatischen und europäischen Billiglohnländern. Nur wenn wir technisch und qualitativ auf dem höchsten Niveau arbeiten, können wir uns gegen diese Wettbewerber behaupten und damit den Standort Bremen mit seinen Arbeitsplätzen sichern“. Voller Zuversicht terminierte er sogleich gleich die Wende zum Besseren: „Im 2.Quartal 2004 werden die Rationalisierungseffekte in der Bremer Kämmerei zum Tragen kommen.“


Über Details der BWK-Geschichte informieren folgende Aufsätze:

Vor, in und zwischen den Weltkriegen: Die BWK im Kampf gegen Inflation, volatile Preise, Devisenmangel und Kriegsfolgen 

Die Bremer Woll-Kämmerei während der NS-Zeit. Zwölf Jahre aus der Sicht der Geschäftsberichte und der Wirtschaftspresse

Währungsreform und Wirtschaftswunder: Die BWK in der Nachkriegszeit (1948-67)


Die BWK in der globalisierten Wollwirtschaft: Vom Blumenthaler Stammwerk zur BWK-Gruppe (1993 – 2000)

Schwarzer oder weißer Ritter? Die Elders-Jahre der BWK (2000 - 2010)

Quellen:
Carbox. 100 Jahre

Elders, Geschäftstberichte von 1998-2012
Gieseler, Bremer Woll-Kämmerei
Laubach, Corinna, Bremer Wollkämmerei will 50 Millionen Mark investieren, in: Die Welt vom 10.05.2001
Scheil, Detlev, Einst weltweit modernste Fabrik ihrer Art, in: Weser-Kurier vom 17.03.2011
Simon, Armin, Kampf um den Schlot, in: taz vom 19.07.2006.

Internetquellen: www.aktiencheck.de, www.brewa.de, www.bwk-bremen.de und www.wikipedia.de,

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